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Martin Minde        Farbkunst

 

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Martin Minde

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Werkübersicht: Malerei zwischen 1963 und 1997

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Was ist Farbe?

Dumme Frage – wir alle kennen ja Farbe.
Fragen wir dennoch.
Also: Was ist Farbe?

Das, was wir sehen?
Bestechende Antwort, aber sehen wir nicht Bäume, Berge, Menschen? Sind sie nicht der eigentliche Inhalt unseres Sehens, das Bleibende, wenn Farben im Dunkel erlöschen, das Objektive, das von unserer Wahrnehmung unabhängig ist, das Wahre hinter dem bloßen Schein der farbigen Welt?

Kant antwortete auf diese Fragen mit der Gegenfrage, ob wir, wenn es denn eine solch autonome, objektive, Ding-an-sich-Welt gäbe (was er gar nicht ausschließt), ob wir Menschen einen Zugang zu ihr finden könnten, unabhängig von sinnlicher, also „subjektiver“ Erfahrung.

Umgekehrt fragt sich angesichts des Verlöschens der Dingwelt im Schwarz der Nacht, ob es nicht eine von ihr unabhängige, rein subjektive Welt der Farbe gibt. Eigentlich war es doch gar nicht richtig, von einem Verlöschen der Farbe im Dunkeln zu reden, denn auch Schwarz ist ja eine solche. Für unser Sehen sind Farben, und eben nicht Dinge, immer da, freilich nicht unabhängig vom Gegenstehenden, etwa beispielsweise der Nacht.

Ist Farbe also das , was wir sehen? Nein, wird uns das Gegenstehende sagen: Ich bin die Nacht, Schwarz ist nur der Ausdruck dafür wie ich aussehe, gewissermaßen eine Eigenschaft meines Seins.
Und was sagt der Tag?: Ich sehe vielfarbig aus, gemäß der Vielfalt in meinem Sein.

Es gibt also einzelne Farben und eine Vielfalt von Farben. Sprechen wir von der Farbe als einzelner, oder von allen Farben, wenn wir fragen: Was ist Farbe?

Natürlich von beidem.

Fragen wir spezieller: Ist Farbe eine Vielfalt von Einzelnem?

Gewiss.

Also auch das Schwarz der Nacht?

Natürlich nicht. Das ist doch eine einzelne Farbe. Bei Tag sehen wir die Farben als Vielfalt, bei Nacht sehen wir nur eine aus dieser Vielfalt.

Wie ist es aber möglich, dass wir Farbe als Einzelne kennen und auch als Vielfalt?

Ganz einfach: Wir sehen Farbe im Gesichtsfeld ausgedehnt im Nebeneinander der vielen Einzelorte. Auf diesen Orten kann überall nur eine sichtbar sein oder können auch viele verschiedene erscheinen. Im einen Fall sehen wir Farbe als Einzelne, im anderen als Vielfalt.

Aber wenn die Einzelfarben als einzelne anders ausschauen als im Zusammenhang, wie uns Albers nahegebracht hat, sind sie dann noch dieselben?
Er leugnet dies, spricht von Veränderung, von Interaktion, Einwirken der Farben auf einander, von ihrer gegenseitigen Relativität und geht dabei davon aus, dass wir Farben nur als erscheinende kennen. Das Wahre sind nach ihm nicht die fixen Einzelfarben in ihrer Vielfalt, sondern ihre Variabilität in gegenseitiger Abhängigkeit. „Nur der Schein trügt nicht“.

Aber, bitte, woran kann man eigentlich erkennen, dass es sich bei den simultanen Phänomenen um Schein handelt? Das setzte doch wiederum eine andere Wahrheit voraus, an welcher der Schein sich als solcher erweist?
Eine doppelte Wahrheit aber widerspricht sich selbst.
Albers löst diesen Widerspruch nicht auf (der Hinweis darauf, dass er auf dem Unterschied der vom Betrachter gewählten Vergleichsbasis - mit sich selber oder mit anderen Farben - beruht, hätte dazu genügt), gefällt sich vielmehr in der Pose des Malers, der es besser weiß als alle „wissenschaftlich objektiven“ Farblehrer. Immerhin ist es aber sein bleibendes Verdienst, unüberhörbar und unwiderleglich die Frage verneint zu haben: Ist Farbe ein objektives Faktum?

Die Anstrengungen der besten Wissenschaftler und Techniker, Farbe objektiv, also vom wahrnehmenden Einzelmenschen unabhängig, dingfest zu machen, sind ungeheuer und haben zu einer Fülle von Erkenntnissen dessen geführt, was notwendig mit einem normal gesunden Sehen der Farbe verbunden ist.

Besondere Bedeutung kommt dabei der Farbmessung zu, die nicht nur zu annähernd in allen Richtungen gleichmäßig gestuften farbräumlichen Systemen geführt hat, die als Farbatlanten oder –fächer im Handel sind, sondern die auch die enormen Entwicklungen auf dem Gebiete der visuellen Medien ermöglicht hat, mit einem Perfektionsgrad auf reproduktivem Gebiet, über den man nur immer wieder staunen kann.
Vor diesen Errungenschaften hätte auch Albers vor Neid erblassen können, wenn er hätte sehen können, wie mit einfachen Operationen anhand von Computer, Monitor und Drucker samt ihrer Programmierung Farbflächen in beliebiger Form und Größe neben einander gesetzt werden können, während er  seine Schüler noch mühsam Farbpapiere zuschneiden und nahtlos an einander passen und kleben ließ. Einen Vorteil hatte freilich auch das: es blieb viel Zeit zum betrachtenden Meditieren, ohne welches das farbige Gestalten leicht zum Leerlauf werden kann.

Im Rahmen unserer Frage müssen die Ergebnisse der verschiedensten Forschungszweige, die sich auf Farbe und ihre Wahrnehmung beziehen, so wichtig sie auch zweifellos sind, wenn man zum Beispiel nur an ihre Bedeutung für die Gesunderhaltung oder Heilung unseres Sehens denkt, nicht im Einzelnen benannt werden – das würde ganze Bücher füllen..
Hier ist nur eines wichtig: mit der Ausklammerung des Subjektiven, die um der Wissenschaftlichkeit willen notwendig ist, begibt man sich der Beantwortung der Frage, was Farbe sei. Denn dazu gehört notwendig das, was Albers uns beigebracht hat.
Alle objektive Farbforschung bezieht sich letztlich auf die Einzelfarben und ihre Vielfalt samt dem, was mit ihrer Wahrnehmung physiologisch, neurologisch, cerebral zusammenhängt.

Es ist zwar nicht zu bestreiten, dass die simultanen Erscheinungen Gesetzmäßigkeiten folgen, die organisch-physische Ursachen haben müssen, aber solange solche Gesetze nicht formuliert sind (die Möglichkeit dazu wäre  mit der Systematisierung des Homogenen Farbrichtungsraumes, wie ich ihn als Formulierung des Simultangesetzes konzipiert und gestaltet habe, gegeben), kann man auch nicht erforschen, welche  zu Grunde liegenden organischen Mechanismen ihnen  sachgemäß zuzuordnen sind.

Vielleicht muss man noch darauf hinweisen, dass auch die so „objektiv“ arbeitende Farbmessung  keineswegs als von „subjektiver“ Beurteilung durch Beobachter losgelöst verstanden werden darf. Sie hätte ja gar nichts mit Farbe zu tun, wenn sie nicht reflektierte Lichtstrahlung mit beleuchteter Farbe auf Identität hin verglichen hätte. Nur beschränkt sie sich bis heute auf diesen Aspekt der Farbe und lässt den Albers’schen außen vor.

Dass Albers aber offensichtlich irrte, wenn er aus der Einheit beider Aspekte in der farbigen Erscheinung (verglichen mit sich selbst bleiben die Farben in jeder Komposition gleich) zwei einander widerstreitende Wahrheiten machte, erklärt sich wohl aus seiner Faszination durch die gestalterischen Entdeckungen, die er als umwerfend gegenüber den bisherigen Lehren empfinden musste.

Die vorläufige Bilanz in der Suche nach dem, was Farbe ist, fällt ziemlich banal und mager aus: sie ist eine Erscheinung unseres Sehens. Lässt sie sich denn nicht etwas konkreter „definieren“?

Der Schlüssel dafür liegt in der schematisch-bildlichen Gestaltung, wie sie die Maler seit Jahrhunderten entwickelten.
In unserer Zeit gewinnt die Forderung nach einer Grundlehre (vergleichbar der Harmonielehre in der Musik) unabweisliche Dringlichkeit.

Wie ich zeigen konnte, spielt dabei die Gestaltung eines Homogenen Farbrichtungsraumes eine fundamentale Rolle, da dieser ermöglicht, farbige Gestalt sozusagen notenschriftlich (digital) zu erfassen.
Formal lässt sich zwar jede Komposition auch heute schon anhand verfügbarer Systeme beschreiben. Aber „Gestalt“ ist mehr als bloße Form. Sie ist nicht nur farbig bestimmbar wie diese, sondern auch farbig variierbar, was allein die Struktur des Homogenen Farbrichtungsraumes möglich macht.

Das Besondere an ihm im Vergleich zu den bisherigen Systemen besteht darin, dass im Homogenen Farbraum neben allseitiger Gleichabständigkeit der Farben von einander auch ihre gegenseitige Ausrichtung zu einander durchgängig in sogenannten Farbgeraden realisiert wird.
Unter diesem Begriff versteht man die gerade Verbindung zweier Farben über ihre direkten Zwischentöne.
Sie ist anhand des Simultanphänomens im Fenster-Feld-Schema zu realisieren.
Beide Aspekte, Gleichmaß und Ausrichtung, sind nicht nur mit einander vereinbar, sondern bedingen sich gegenseitig und können deshalb im Gestaltungsprozess als gegenseitiges Korrektiv einander präzisieren.

Musikalische Gestalt hat sich anhand ihrer Instrumentik und Notierbarkeit explosionsartig entwickelt.
Ähnliches ist auch für die farbige Gestalt zu erwarten, denn Farbe ist in ihrer Fülle nicht etwas in der äußeren Natur irgendwie Vorhandenes, sondern schlummert zunächst nur als Möglichkeit in unserer Naturanlage, ist aber schrittweise in konkreter Bildhaftigkeit zu erschließen.

Frei von der reproduktiven Aufgabe, die von den Medien übernommen worden ist, kann eine neue Kunst der Farbe realisieren, was Farbe sein kann.