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Doppelte „Transzendenz“ im Bild
Anlässlich des 50. Todestages von Albert Einstein lenkte mich ein Vortrag der Volkshochschule über sein Verhältnis zur Religion auf eine Art „Glaubensbekenntnis“ von ihm, das er 1932 auf Schallplatte aufnehmen ließ. Darin heißt es:
„Das Schönste und Tiefste, was der Mensch erleben kann, ist das Gefühl des Geheimnisvollen. Es liegt der Religion sowie allem tieferen Streben in Kunst und Wissenschaft zugrunde. Wer dies nicht erlebt hat, erscheint mir, wenn nicht wie ein Toter, so doch wie ein Blinder. Zu empfinden, dass hinter dem Erlebbaren ein für unseren Geist Unerreichbares verborgen sei, dessen Schönheit und Erhabenheit uns nur mittelbar und in schwachem Widerschein erreicht, das ist Religiosität. In diesem Sinne bin ich religiös. Es ist mir genug, dieses Geheimnis staunend zu ahnen und zu versuchen, von der erhabenen Struktur des Seienden in Demut ein mattes Abbild zu erfassen.“
Diese Äußerung kann wie eine hausbackene Bestätigung sehr verbreiteter Überzeugungen wirken. Da ist der erlebende, empfindende Mensch, das, was er erlebt und durch dieses (seine „erhabene Struktur“) vermittelt, ein geheimnisvoll „Unerreichbares“, vor dem man nur „anbetend stehen“ bleiben kann (wie es Paul Gerhardt im Lied „Ich steh an deiner Krippen hier“ formuliert) und vor dem wir nur schweigen und uns „innigst vor ihm beugen“ können (wie Gerhard Teerstegen in seinem Lied „Gott ist gegenwärtig“ dichtet). Man muss es nicht „Gott“ nennen und sein Verhältnis zu ihm nicht „Glaube“. In „Mein Weltbild“ äußert Einstein: „Judentum ist kein Glaube. Der jüdische Gott ist nur eine Verneinung des Aberglaubens, ein Phantasieersatz für dessen Beseitigung.“ Er befindet sich damit durchaus noch in mosaischer Tradition (siehe das 2. Gebot!), wie auch aus seiner Äußerung hervorgeht: „Gott stelle ich mir überhaupt nicht vor, sondern begnüge mich damit, die Struktur der Welt zu bewundern, so weit sie sich unserem schwachen Erkenntnisvermögen überhaupt offenbart.“ Statt menschliche Werte auf göttliche Autorität zu gründen, meint er, müsse man sich auf die Kräfte stützen, „welche das Gute, Schöne und Wahre selbst auf die Menschen auszuüben vermögen“. Wem wäre eine solche Haltung nicht sympathisch – frei von dogmatischer und institutioneller Fixierung und dennoch „fromm“? Etwas Extraordinäres oder irgendwie Weiterführendes ist darin nicht enthalten. Gewicht bekommt sie aber angesichts des hybriden Herren- und Größenwahns des Nazitums seiner Zeit. Der ja nun wirklich große Physiker gibt sich bewusst bescheiden. Er weiß um die Grenzen unseres Geistes, darum, dass der Forscher nur einen schwachen Abglanz des großen Geheimnisses, dem er in Demut auf der Spur ist, vermitteln kann. Vor dieser seiner tiefen, wohl auch bitter erfahrenen Einsicht kann ich mich nur ergriffen verneigen – David gegen Goliath in kaum zurückliegender Zeit!
Ohne davon das Geringste abzutun, will ich seinen Text doch aus meiner Sicht kritisch beleuchten. Als Farbe bildender Künstler komme ich damit einfach nicht zurecht. Was für den Physiker ganz klar auf der Hand liegt, stellt sich für mich als Maler durchaus anders dar. Ich suche nichts „hinter dem Erlebbaren“ Verborgenes. „Schönheit und Erhabenheit“ erreicht mich im Erlebbaren ganz offenbar, nicht bloß „in schwachem Widerschein“, sondern in geradezu überwältigender Klarheit. Die Frage bestürzt mich, wie so etwas möglich sei. Mit allen geistigen Kräften und vielen praktischen Versuchen strebe ich dahinter zu kommen und so weit es mir gelingt, es zu verstehen, eine schwache, sehr begrenzte Bemühung, die ihr Ziel nie ganz erreichen wird und dennoch zu Bildern führt, in denen je eine potentielle Fülle erschlossen wird, die über das Erlebbare hinausgeht, weil sie bildhaft (im farbformalen Schema) eine Grundmöglichkeit unseres Sehens umfasst. Die geistige Anstrengung richtet sich auf das Potential des Erlebbaren, darauf, es in und mit Bildern geistig auszuloten. In meiner Arbeit versuche ich kein „mattes Abbild“ „der erhabenen Struktur des Seienden“ zu erfassen. Was wir sehen, bedarf dessen nicht, um in seiner Erhabenheit erkennbar zu sein. Aber was wir sehen, ist immer nur ein kleiner Ausschnitt und nur wenn dieser Ausschnitt zum Bild unseres visuellen Potentials wird, erschauen wir innerlich das Geheimnis möglicher Fülle, das uns innewohnt, aber das wir nur bruchstückhaft erkennen. Nicht in einem für unseren Geist Unerreichbaren, das sich hinter dem Erlebbaren verbirgt – „jenseitig“ bin ich versucht dem, der Anti- Metaphysiker sein will, vorzuhalten – wird das Geheimnisvolle wirksam, sondern mitten in uns selber, als diese seltsame Fähigkeit, die Beschränktheit unseres Gesichtsfeldes geistig aufzuheben. Sie ist es, die uns mit unseren Mitmenschen, ja dem ganzen Kosmos zu verbinden vermag, lernen wir sie nur recht auszuüben. Wir stehen nicht als Einzelne vor dem Geheimnis, dessen Schönheit und Erhabenheit uns von jenseits als Einzelne nur „mittelbar und in schwachem Widerschein erreicht“, sondern wir erfahren uns miteinander und der Welt verbunden durch das Geheimnis, das uns innewohnt, das uns gleichermaßen befähigt, uns nach außen hin im Erleben zu öffnen, wie auch das Erlebbare geistig zu übersteigen in Richtung des überhaupt und uns allen potentiell zu erleben Möglichen. Über die Einsichten in dieses Geheimnis, die die farbformalen Schemata der vorliegenden Bilder vermitteln, ist nichts Neues zu sagen. Ich habe sie in früheren Büchern ausführlich dargelegt. Ein je willkürliches „Motiv“ wird nach den uns innewohnenden Ordnungen, in denen wir Farbe wahrnehmen „verarbeitet“. So sind die Bilder offen für alle möglichen Zufälle, die uns in dem begegnen mögen, was von außen auf uns zukommen kann, wie auch für die Grundmöglichkeiten gesetzmäßiger Strukturen, in denen wir aufgrund unserer sinnlich-seelisch-geistigen inneren Natur Farbe erkennen können. Im „Motiv“ waren dabei immer assoziative Inhalte wirksam, die je nach Erlebniswelt des Betrachters in unterschiedliche Richtungen in der uns vertrauten Wirklichkeit weisen mochten. In diesem Mappenwerk habe ich nun versucht, gezielt einen Bereich zu meditieren, innerlich zu „bewegen“ (zum „Motiv“ zu machen), wie er in der jüdisch christlichen Tradition lebendig ist. In ihr geht es nicht vorrangig um Sichtbares, sondern um Ängste, Gewalt, Liebe, ums Handeln, um Leben und Tod, ganz umfassend um die Grundfragen und den Sinn unserer Existenz. Das rein Visuelle mischt sich also nur als eine besondere Komponente in das Netzwerk menschlichen Seins. Es kann aber, so meine ich, Wesentliches und durchaus Eigenes in den Gesamtzusammenhang einbringen. Von Anfang bis Ende geht es in der jüdisch christlichen Überlieferung um Beziehung zur Welt, zu Gott, zum Mitmenschen, um „Einsicht“, also darum, im Geschiedenen, Unterschiedenen Eines zu sehen und aus dieser Einsicht zu leben. In diesem Sinne hat die Bibel mächtige Bilder hervorgebracht, die mit dem Wort das bloße Sichtbare sprengen, eine umfassendere Einheit anvisieren als unser leibliches Auge und unser visueller Verstand. Das ging aber leider oft auf Kosten der Realität, geriet zum Mythos einer virtuellen, wenig greifbaren, oft wundersamen Welt. Dies Märchenhafte wird im realen Bild zwar aufgegriffen, aber zugleich durchs bildliche Schema in wirkliche „Einsicht“ (etwa des Ineinanders von Zufall und Ordnung) verwandelt. Das Bild gibt dem religiös abgehobenen Inhalt irdische Präsenz. Und umgekehrt gibt die religiöse Aussage dem Einzelaspekt des reinen Sichtbaren umfassende Bedeutung. In der Bildhaftigkeit des farbformalen Schemas selbst gibt es also eine Transzendenz, in der das Konkrete geistig überstiegen wird in Richtung einer Fülle von ähnlichem Konkreten und zugleich gibt es eine weitere in seiner Öffnung für das Umfassende der religiösen Visionen, in denen die Bilder sich mit allgemein Menschlichem verbinden. Um die Verknüpfung religiöser Überlieferungen mit den Bildern für den Betrachter deutlicher zu machen, gab ich den Drucken Texte bei, auf die sie sich beziehen. Natürlich nehme ich keine Bebilderung im Sinne etwa eines Schnorr von Carolsfeld vor. Während dieser täuschende „Echtheit“ natürlicher Wiedergabetechnik mit den Wundergeschichten der Bibel verband, vielleicht um ihre wirkliche Möglichkeit zu suggerieren (was für eine naive Vorstellung!), belasse ich Darstellungs- und Erzählschicht in gegenseitiger Spannung, um beide füreinander fruchtbar werden zu lassen. Puristen werden mir vorhalten, dass ich damit die reine Malerei verlasse. Tatsächlich bedeutet die Einbeziehung des Bibelwortes auf gestalterischer Ebene eine Fokussierung des Assoziationsfeldes auf eine begrenzte Zone und damit Verlust seiner konkreten Freiheit. Diesem Einwand kann man aber entgegenhalten, dass ein Bild niemals von Festlegungen auf bruchstückhafte sinnliche Bereiche und mit ihnen verbundene Assoziationssegmente frei sein kann. Der Aspekt der Freiheit bleibt aber dadurch in Geltung, dass die Bildhaftigkeit der farbformalen Schemata offen für die ganze Fülle potentieller Varianten bleibt.
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