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Äußerungen von Cézanne, Gauguin und Van Gogh zu Farbe und Natur (nach Hess: Das Problem der Farbe in Selbstzeugnissen der Maler, Mäander 1981)
Cézanne: Im Kontakt mit ihr (der Natur), vor dem Motiv, wird das Auge erzogen. (S.28) Man muss die Natur nicht reproduzieren, sondern repräsentieren, durch was?: durch gestaltende (plastiques) farbige Äquivalente. (S.26) Tout dans la nature se modèle selon la sphère, le cône et le cylindre. Il faut s’appandre a peindre sur ces figures simples, on pourra ensuite faire tout ce qu’on voudra. (Alles in der Natur modelliert sich wie Kugel, Kegel und Zylinder. Man muss lernen, nach diesen einfachen Figuren zu malen, dann wird man alles machen können, was man will. (S.27) Wenn die Farbe den höchsten Reichtum zeigt, zeigt die Form die größte Fülle. Die Kontraste und Übereinstimmungen der Farbtöne: Darin liegt das Geheimnis der Zeichnung und Modellierung. (S.28) Man sollte lieber sagen moduler statt modeler. (Hess nach Badt: Es wird übersetzt, repräsentiert durch Modulationsgruppen von Farben). (S.28)
Van Gogh: (Die wahren Maler sind diejenigen, welche nicht Lokalfarben malen: das war es, was Ch. Blanc und Delacroix eines Tages besprachen). Darf ich darunter nicht verstehen, dass ein Maler gut daran tut, wenn er, anstatt von den Farben in der Natur auszugehen, von den Farben auf der Palette ausgeht? (S.37) Das eine Bild ist hellrosa, das andere hellgrün und gelbgrün, in den Komplementärfarben zu Rosa. Aber wir sind noch nicht so weit, dass die Leute die merkwürdigen Beziehungen verstehen oder begreifen, dass zwischen einem Stück Natur und einem anderen Beziehungen bestehen, die sich gegenseitig erklären. (S.43) Im Gemälde möchte ich eine Sache sagen, tröstlich wie Musik. (S.46) (Hess: Weil die schrecklichen Mächte, die Farben, einem Gesetz unterworfen sind, kann jede Erschütterung des Gemüts, die sie hervorrufen, sich in Schönheit lösen, können sie das Bild „tröstlich wie Musik“ machen). (S.49) (Die Aufgabe:) ein Ganzes, das bleibt, zu schaffen. (S.47) Der Maler der Zukunft ist ein farbiger, wie es ihn noch nie gab. (S.47) (Von sich selbst sagt er, dass er die Farbverhältnisse) wie ein Somnambuler (fühle). (S.49)
Gauguin: ... nehmen Sie aus der Natur, indem Sie von ihr träumen, ... immer auf der Suche nach dem Absoluten! (S.51) (Morice im Sinne von Gauguin): Wer sagt Euch, dass man den Kontrast suchen muss? ... Suchet die Harmonie und nicht den Gegensatz (l’opposition), den Zusammenklang und nicht das Aufeinanderprallen (le heurt) der Farben. (S.52) Orchestrierung eines reinen Tones mittels aller Ableitungen dieses Tones. (S.52) Rot neben Grün: zwei vibrierende Töne. Neben das Rot noch Gelb gesetzt: bereichert und steigert die Intensität des Grün. Statt Gelb Blau: drei vibrierende Töne. Statt Blau Violett: bildet mit dem Rot gegenüber Grün eine Einheit. – Die Kombinationen sind unbegrenzt. (S.53) (Hess: Ein Naturgesetz als Grundlage der Farbwirkungen ist für Gauguin) Rezeptplunder. (S.53) Ich träume von gewaltsamen Harmonien inmitten natürlicher Wohlgerüche, die mich berauschen ... Altes, Erhabenes, Religiöses ... das verschleierte Bild des unergründlichen Rätsels ... Traum im unendlichen Raum, der sich vor mir ausdehnt ... Mein Traum lässt sich nicht fassen, lässt keinerlei Allegorie zu: Ein musikalisches Gedicht, verzichtet auf ein Libretto: Zitat Mallarmé. (S.54) Jeder Kult ist eine Idolatrie vor dem unergründlichen Geheimnis.
Welche Bedeutung können die Konzepte dieser drei Maler nach der Abkehr von der Naturdarstellung noch haben?
Alle drei Maler verbindet die Hinwendung zur Farbe in ihrer Eigengesetzlichkeit, von der her ihre Naturdarstellung auf je spezifische Weise geprägt ist. Aber sie verlassen die Naturdarstellung nicht, wie es dann Kandinsky tut. Was er begann, hat sich in der Bewegung der „konkreten Malerei“ radikalisiert. Hat diese mit der Naturdarstellung etwas Entscheidendes gegenüber den drei Großen zu Beginn der Moderne verloren, oder können deren Inhalte auch in der neuen Kunst Bedeutung haben? Kann diese auch als Weiterentwicklung, Zusammenführung und Erweiterung gesehen werden, indem das, was sich in der Naturdarstellung der drei Großen zeigt, Eingang in die konkrete Kunst findet? Wie müsste sich die konkrete Kunst ändern, um als Erbin der drei Maler gelten zu können? Welche Bedeutung hatte für die drei Künstler überhaupt die Naturdarstellung? Welche Notwendigkeit hatte sie in ihrem Werk? Bedeutet ihr Wegfall Verlust oder Gewinn? Betrachten wir zuerst Cézanne: Er sieht Farbe als das Formende schlechthin. Die Natur, das Schaffen „vor dem Motiv“, ist für ihn deshalb so wichtig, weil er dort eine Einheit von Farbe und Form vorfindet. In der Formung der Farbe schafft er auf der Leinwand eine Bildwelt parallel zur Natur. Wenn nun wirklich alles im Sichtbaren Mögliche aus Farbe formbar ist, so wäre ein Zugriff auf die Farbform ohne Rückgriff auf ihre Gegebenheit im „Motiv“ möglich, indem man erforscht, wie sie sich bilden lässt. Das ist die große Aufgabe, der sich die konkrete Kunst stellen muss, will sie vor der Malerei Cézannes bestehen: die Farbform zu definieren und von dieser Definition ausgehend dieselbe in aller Freiheit zu entwickeln. Das geschieht in Gestalt- und Gestaltungssystematik, wie ich sie vorgenommen habe. Ob sie zu der Komplexität gelangen kann, wie sie in der Natur gegeben ist, ist nicht fraglicher als für Cézannes Bildwirklichkeit parallel zur Natur. Es gibt ja zu denken, dass Cézanne selber seine selbst gestellte Aufgabe des „Realisierens“ nur ein Stück weit als erfolgreich verwirklicht ansah, dass es aber eine weiter gehende Nachfolge in diesem seinen Projekt nicht gegeben hat. Möglicherweise liegt das ja daran, dass Cézanne und seine Nachfolger sich nur ein unzureichendes Bild von den formenden Kräften der Farbe gemacht haben, weil sie sich bei ihrer Beobachtung durch die Überwältigung durch die Eindrücke der Natur stören ließen. Frei von der Naturvorstellung, so lässt sich aber auch argumentieren, kann man das Formen aus der Farbe auch hinsichtlich derjenigen Inhalte entwickeln, die in der Natur keine Entsprechung finden. Beispiele solch „produktiver Semantik“ stellen schon die einfachen Farbgestalten wie chromatische Fläche, Kugel-, Kegel- und Zylinderdarstellungen, aber auch Bilder mit sich transparent durchdringenden gegenfarbigen Symmetrien dar, wie auch die farbige Abwandlung von spezifischen Farbformen, wie ich sie entwickelte.
Wenden wir uns nun Van Gogh zu. Er sieht Farbe in Beziehungen. In den Relationen der kontrastierenden Farben spiegeln sich bildhaft die Beziehungen zwischen den Menschen, die Beziehungen zwischen den Dingen in der Natur und die Beziehungen zwischen Mensch und Natur. In seinen Bildern macht er die „wahre“ Natur sichtbar, die von innerer Lebendigkeit erfüllt ist, weil in ihr alles auf alles bezogen ist. Sein Weg scheint in gerader Richtung weiter zu führen hin zu Kandinsky, der sein Werk aus den Kontrasten herleitet, aus deren „buntem Leben“, sowohl farbig, als auch formal und inhaltlich. Sein malerisches Frühwerk hat die Kraft der Erschütterung, die Van Gogh bis zum Wahnsinn trieb. Sein reifes Werk hat die Vielschichtigkeit und Disziplin, die Van Gogh anstrebte und sein Spätwerk fabuliert in farbigen und formalen Relationen von einer lebendigen Welt, ganz unabhängig vom Naturbild, in der alles aufeinander bezogen ist. Sein Lebenswerk weist trotz der so unterschiedlichen Gestaltungsansätze ein sehr einheitliches Gepräge auf, nämlich das der Offenheit für auch noch so Konträres, für alles Lebendige. Und doch bleibt es in einer Hinsicht hinter Van Goghs Konzept zurück. Dieser sah in den Relationen der Farben eine gesetzmäßige innere Ordnung, die dem blinden Zufall in den Naturerscheinungen (oder auch der Willkür des inspirierten Künstlers) etwas „Tröstliches“ entgegen zu stellen vermag. Was Kandinsky mit „innerer Notwendigkeit“ bezeichnet, nämlich die Seele des Betrachters so zu berühren, dass in ihm das Kunstwerk „voll lebt“, weist in dieser Richtung, bleibt aber seltsam unfassbar. Kandinsky selbst beschreibt es als Mysterium, wie er zum „Wesen“ des Bildes kommt und wie sein Wirken sich vollzieht. Dem gegenüber arbeitete Van Gogh in der Überzeugung, dass in den Relationen der Farben eine allgemeingültige Ordnung gegeben ist, die der Natur eben dieses „Tröstliche“ zu verleihen vermag, das die Kunst auszeichnet.
Im Grunde ist auch das konkrete Kunstwerk bloß ein Stück Natur, das erst mit dem Menschen in Beziehung gebracht werden muss durch die den Farben innewohnenden Beziehungen in ihrer gesetzlichen Ordnung, um aus ihrer Nichtigkeit herausgerissen zu werden in das Heilsame der Kunst. Damit wären wir bei dem Zweiten, was die konkrete Kunst zu leisten hätte: Freie Willkür im Gebrauch unterschiedlichster Kontraste ist zu verwirklichen im Rahmen allgemeiner Ordnungen der Farbe. Letztere haben wir im Zusammenhang mit Cézanne schon angesprochen. Wie sie mit der freien Wahl vielfältiger, lebendiger Relationen zu verbinden sind, habe ich in verschiedenen Schemen gezeigt, die eine offene, der Willkür vorbehaltene Komponente enthalten, angefangen mit der freien Farbform, die unter Beibehaltung ihrer Gestalt nach den Farbgesetzen farbig abgewandelt wird, über gegenfarbsymmetrisch gefasste freie Motive und deren Überlagerung in unterschiedlichen Plänen, bis hin zur Destruktion einfacher Gestalten durch symmetrische Spiegelungen von Ausschnitten, die zu freien Kompositionen führt, in denen dennoch eine innere Ordnung enthalten ist. In der Form eines Zusammenwirkens von Willkür und Gesetz, Freiheit und Ordnung wird solches Gestalten bildhaft für Natur auch ohne natürliches „Vorbild“. Die Verknüpfung eines freiheitlichen Aspektes mit dem Ordnungsschema beinhaltet jeweils eine Fülle möglicher Varianten, für deren Potential das konkrete Werk als Bild fungiert. In diesem Sinne muss die konkrete Kunst zu ihrer eigenen Bildhaftigkeit finden.
Schließlich Gauguin: Er sieht in den Farben die Möglichkeit ihrer Harmonie zwischen Verschmelzung und Individuation. Mensch und Natur träumt er in den Himmel dieser Harmonie. Sein Bild ist die Utopie der Einheit alles Seienden in friedlichem Lebensgenuss, versinnlicht durch die Farbe. In diesem Konzept stellt das Werk ein Stück Paradies vor – Bildlichkeit im konkreten Sinne scheint von vornherein ausgeschlossen: Wie könnte es eine gleichwertige Variante für etwas geben, das in sich Vollkommenheit besitzt? Lässt sich das Mysterium des Seins in ein Schema fassen? Im homogenen Farbrichtungsraum ist das relative Sein der Farbe verbildlicht. Aus ihm können alle möglichen Harmonien hergeleitet werden. Das Urbild solcher Harmonie ist die chromatische Fläche, Bild der Einheit schlechthin und der homogene Farbraum enthält alle möglichen solcher Flächen. In der einheitlichen Gestalt der gegenseitigen Zuordnung der Farben im tonalen Gleichmaß des homogenen Raumes manifestiert sich die natürliche Einheit aller Farben im Kontinuum. Wird dieses Kontinuum aus seinem Gleichmaß herausgerissen, in Bewegung gebracht, entstehen alle Formen und interaktiven Möglichkeiten zwischen Farben. Die Schemata ihrer Entstehung lassen aber nicht nur eine Möglichkeit zu, sondern jeweils eine Fülle von Varianten, für die sie bildhaft stehen. Was sind diese Schemata anderes als spezifische Harmonien, die bildhaft spezielle Erscheinungen farbiger Verwandtschaft und Verschiedenheit verkörpern?
Eines dieser Schemata, in dem willkürliche Bewegtheit zwischen Farben mit farbiger Ordnung im Sinne des oben Ausgeführten verknüpft wird, ist so komplex und stellt so hohe Anforderungen an die Empfindung, lässt so zarte, poetische, wie auch ungewöhnlich exotische Lösungen zu, dass man darüber den ganzen Zauber des Urwalds mit seinen blühenden und duftenden Bewohnerinnen vergessen kann: Ich habe in diesem offenen Schema je eine Anzahl von Farben wild durcheinander auf die Leinwand aufgebracht und sie dann durch die Art ihrer Verschmelzung in unterschiedlichen Bewegungen räumlich auf die Ebene der Bildfläche hin geordnet. Da entsteht genau das, was für Gauguin ganz typisch ist: eine Harmonie zwischen Verschmelzung und Individuation der Farben. Das Ineinander von sich bildenden Formen und Farben kann die verschiedensten Gesichter annehmen und dennoch ist alles von der erhabenen Ruhe, dem Bei-Sich-Sein der Farbe in gelöstem So-Sein erfüllt, wie es in den Bildern von Gauguin so berauscht. Nur das Märchenhafte, Illusorische, Traumhafte, in dem diese Realität in die Natur projiziert wird, fehlt. Ist das ein Nachteil? Das utopische Moment der Einheit allen Seins wird in dem Beieinander der Farben in der Fläche fassbar wie in einem konkreten Stück Paradies, aber zugleich wird im Schema bildhaft das Potential einer ganzen Fülle möglicher Varianten erschlossen. Aus der Idolatrie Gauguins wird der nüchterne Zauber eines bescheidenen Bildes. Anstelle des Traumes von einer heilen Welt tritt die geistige Vorstellung eines Himmels voller realer Möglichkeiten. Dabei schließt das konkrete Bild die Poesie, das Erzählerische, Sinnbildliche nicht aus. Es umfasst das ganze Potential unserer Farbvorstellungen. Darin hat auch die Verknüpfung mit gegenständlichen Inhalten, im Grunde mit allem Natürlichen Platz. So kommen wir zu dem Schluss, dass die konkrete Kunst durchaus in der Lage ist, das Erbe der drei Erzväter der Moderne anzutreten, zusammenzuführen und in höherer Einheit zu überwinden, wenn sie Inspiration mit den Möglichkeiten der Farbordnung und des konkreten Bildes verbindet. Freiheit von der Naturdarstellung muss nicht ihre Unmöglichkeit bedeuten. Im Gegenteil kann das konkrete Bild ihr neue Aspekte hinzufügen. Beispiele dafür habe ich in meiner Mappe „Sinnbilder“ gestaltet.
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