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Martin Minde        Farbkunst

 

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Martin Minde

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Werkübersicht: Malerei zwischen 1963 und 1997

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Farbordnung – Farbsysteme – Farbinstrumentik

Als ich mit 20 Jahren Anfang der 60-er des letzten Jahrhunderts in die Malerlehre ging, erfuhr ich als erstes wie eine Offenbarung, was es heißt, eine Wand einfarbig zu streichen.
Wir arbeiteten mit einer „Bürste“, einem quaderförmigen Borstenpinsel und dickflüssiger Leimfarbe. Diese musste in ihrer Konsistenz der Saugfähigkeit des Untergrundes entsprechen. Sie durfte nicht zu flüssig sein, damit sie nicht an der Wand herunter lief und nicht zu kompakt, um der unliebsamen Pinselschrift zu entgehen. Unbedingt zu vermeiden waren Fehlstellen, die durch kleine Unebenheiten der Mauer begünstigt wurden, über die die Bürste leicht hinwegglitt. Die unter Künstlern so gehätschelte Faktur der „persönlichen Handschrift“ erfuhr ich als Todfeind der einheitlichen Flächenwirkung homogener Farbigkeit.
Der unbarmherzige Lichteinfall machte die kleinsten Abweichungen in der Struktur der Wand, die es in der Vorarbeit zu vereinheitlichen galt, die aber durch den Farbauftrag ungewollt von neuem entstehen konnten, deutlich und zerstörte dadurch die flächige Farbwirkung, die einheitlich matt zu sein hatte. Überleimung führte zu speckigem Glanz, der auch durch weniger saugfähige Stellen im Untergrund entstehen konnte.
Kurz, ich lernte die flächige Erscheinungsweise der Farbe kennen, die nur gegeben ist bei einheitlicher Struktur und Oberflächenwirkung (gleicher Mattheit, gleichem seidigen oder vollem Glanz) der ebenen Fläche und – das gehörte zu meiner Grunderfahrung – in voller Deckkraft.

Den Reiz lasierender Farbe lernte ich ausgiebig kennen, als ich später bei einem Restaurator und Kirchenmaler arbeitete. So bin ich weit davon entfernt, Leibls Bemerkung über die Arbeit eines Kollegen „Ich glaube das Schwein lasiert“ als Argument gegen die Lasurmalerei zu werten. Natürlich kann die Lasur ein großartiges Mittel künstlerischen Gestaltens sein. Aber Leibl ging es wohl gar nicht darum, den Kollegen schlecht zu machen, sondern um die Wahrheit der reinen Erscheinung der Farbe.
Wo es um Farbe geht, da geht es nicht um Tiefenwirkung aufgrund von materieller Schichtung, genauso wenig wie um die Belebung der Farbwirkung durch die Handschrift oder Textur der Leinwand.
Die rein farbige Dimension ist nur erlebbar, wenn man von diesen Dingen abzusehen vermag. Und das wird am ehesten ermöglicht, wenn sie sich flächig nivellieren. Es hatte schon seinen Sinn, wenn in der Alten Malerei nicht nur zum Schutz der Malschicht ein, lasierte und deckende Farben verbindender Schlussfirnis über das ganze Bild gelegt wurde.

Die eindeutige Flächigkeit ist aber nicht nur die angestammte Heimat der Farbe, sondern auch der Ort, an dem sie sich differenziert. Nur wo die Fläche sich in nichts unterscheidet als in der Farbe, kann von Farben in der Mehrzahl und von ihrer Komposition geredet werden.
Das muss vor aller Farbordnung klar sein. Und deswegen muss auch für die Vielfalt der Farben vor allem für eine einheitliche Oberflächenwirkung Sorge getragen werden: einheitliche Körnung, Mattheit, Tiefenwirkung bei gleichem seidigen oder vollem Glanz.
Schon an dieser vorzugebenden Realisationsbasis wird erkennbar, dass es nicht das einzige, wahre Farbuniversum gibt, sondern nur verschiedene Arten seiner Materialisation.

Betrachten wir nun die Vielfalt auf diese Weise mit einander vergleichbar gewordener Farben, so können wir in ihr verschiedene Grade von Verwandtschaft erkennen. Die Nähe kann sich zur Ununterscheidbarkeit in Kontinuen verdichten, einem nahtlosen Gleiten von Farbe zu Farbe. Um aber zu unterscheidbaren Einzelfarben in flächiger Gestalt zu kommen, ist es notwendig, Schritte von Farbe zu Farbe einzuführen. Wenn diese Schritte ein Maß für die Verwandtschaft der Farben sein sollen, müssen sie gleichmäßig sein.

Aber da taucht gleich ein weiteres Problem auf. Es zeigt sich nämlich, dass verschiedene Arten von Verwandtschaften der Farben von einander unabhängige Maße enthalten, nicht wie Meter, Zentimeter, Millimeter – das wären ja nur unterschiedliche Schrittgrößen – vielmehr solche wie räumliche, des Gewichtes, der Temperatur oder von Spannungen.
So unterscheiden sich die Differenzen in der Helligkeit völlig von solchen gleich heller Farben. Während die Stufen zwischen gleich hellen Farben nur schwer unterscheidbar sind, lassen sich diejenigen in Helldunkel sehr fein differenzieren, ganz im Unterschied zu ihrer Wirkung im Verlauf – da rutschen die Helligkeiten zusammen und rücken die gleich hellen Farben aus einander. Kann man die helligkeitsgleichen Farben in Ebenen allseitig gleichmäßig bewegt aufrastern, so gelingt dies keineswegs für die „Klaren“, also diejenigen Farben, die in verschiedenen Helligkeiten die jeweils buntesten sind. Sie lassen sich eher auf sphärischen Flächen ins Gleichmaß bringen – Ostwald hat ihnen das Ordnungsmodell seiner Doppelkegelmäntel, Runge das der Kugeloberfläche zugedacht. Sie bauen ihre Ordnungen gewissermaßen den Körperformen gemäß von außen nach innen, während Munsell von innen nach außen geht und jeder von ihnen kommt zu anderen Farbkörpern, die jeweils bestimmten Ordnungen farbiger Verwandtschaften entsprechen, aber nicht in einander aufgehen.

„Farbsysteme“ nennen wir die nach bestimmten Ordnungsprinzipien gleichmäßig geformte räumliche Zuordnung der Gesamtheit der Farben, der Ordnungsidee nach im Kontinuum, der Realisation in Farbmustern nach in repräsentativer Auswahl von Einzelfarben.
Soll ein System für den farbig Gestaltenden, insbesondere den Farbkünstler, von Nutzen sein, so ist es von entscheidender Bedeutung, wie viel von der im Farbenuniversum verborgenen Ordnung in ihm manifest wird.

Munsells Grundidee war bestimmt von der Tonmalerei des 19.Jahrhunderts: Ebenen gleicher Helligkeit (ausschließlich farbig differenziert) setzte er lineare Helligkeitsentwicklung dimensional entgegen. Von einer senkrechten, farblosen Neutralachse (nur in der Helligkeit differenziert) stehen in seiner Ordnung waagerecht nach allen Seiten hin gleichmäßig und sich gleichgeschwindig ins Farbige (Chroma) entwickelnde Buntfarben ab, die untereinander gleich abständige Kreise bilden. Alle in Geraden senkrecht über einander stehenden Farben bilden „reine“ Helligkeitsentwicklungen von Farben gleichen Bunttones und gleichen Chromas, also Abstandes von der Grauachse.
Munsell war selber Maler und richtete sein Farbsystem deshalb ganz an Ordnungen aus, die er in der Farbe vorfand. Während er jedoch für die helligkeitsgleichen Farben gleichen Chromas die einfache Form von Kreisen fand, für die reinen Helligkeitsentwicklungen die ebenfalls höchst einfache Form von einander parallelen Farbgeraden, kam er in Bezug auf die Außenfarben seines Systems zu keiner einfachen Form. Diese Farben größter Buntheit ragen unterschiedlich weit von der Grauachse aus in den Raum hinaus und bilden eine unregelmäßige Außenform.

An diesem Punkt hatte ein anderer Maler, nämlich Philipp Otto Runge, eingesetzt: den Farben, die keinerlei Grau enthalten, so fand er, steht aufgrund der eigentümlichen Verwandtschaft ihrer „Klarheit“ die einfache Form der Rundheit zu. Bezüglich eines Mittelgraus, so fasste ich seine Idee auf, stehen sich nach allen Richtungen komplementäre Farben gegenüber, die untereinander im Gleichmaß zu ordnen sind und die sich über dieses Grau mit einander zu einem Farbkörper verbinden lassen.
Parallel zur Außenform finden sich kleinere Kugelflächen, deren Farben das gleiche Maß an „Trübung“ enthalten.
Aber auch seine Ordnungsidee weist Mängel auf. Davon, dass die reinsten Farben am Äquator, genau zwischen weißem und schwarzem Pol angesiedelt, wie er es konzipierte, sich mit ihren Aufhellungen und Verdunkelungen nicht zur Rundheit gestalten lassen, wie ich leidvoll erfahren musste, braucht hier nicht weiter geredet werden. Viel wichtiger in unserem Zusammenhang ist die Tatsache, dass sich Rundordnungen nicht nur um mittleres Grau errichten lassen, sondern auch um verschiedene farbige Zentren. Statt einer Perspektive aufs mittlere Grau hin richtet sich dann die Perspektive auf einen bestimmten Milieuton, den die Kugelfarben umkreisen.

Wilhelm Ostwald hat zwar auch ganz respektabel gemalt, war aber von Haus aus Wissenschaftler und suchte als solcher nach objektiven Ansätzen der Farbmessung. Alle möglichen Farben, so fand er, lassen sich spektral repräsentieren. Die ganze Farbenwelt bewegt sich zwischen Nichtlicht (Schwarz) und Licht (Weiß). Die Buntfarben können in geeigneter spektraler Zusammensetzung maximale Fülle in einem „Vollfarbenkreis“ erreichen, der in sich gleichabständig zu ordnen ist und mit Aufhellungen zum Weiß und Abdunkelungen zum Schwarz den ganzen Umfang möglicher Farben umreißt. Die logische Zuordnung aller Farben orientiert sich bei ihm an der einfachen Gestalt eines gleichseitigen („farbtongleichen“) Dreiecks, das zwischen Weiß, einer Vollfarbe und Schwarz vermittelt und um die Schwarz-Weiß-Achse drehend den Ton wechselt gemäß dem gleichmäßig bewegten Vollfarbenkreis, der dann als Basis eines Doppelkegels mit den beiden Spitzen des weißen und schwarzen Pols fungiert. (Von dem Gebrauch der Kreiselmischung zur Realisation einer repräsentativen Ausmusterung soll hier nicht weiter geredet werden).

Problematisch an Ostwalds Ansatz ist seine Verquickung psychologischer und spektral-additiver Ordnung, die sich gegenseitig ausschließt. „Kompensativ“ nennt man Farben, die sich, als Lichtfarben gegenseitig addiert, neutralisieren. Wir kennen die Funktionsweise vom Monitor her, der mit drei unterschiedlichen Lichtern arbeitet, Rot, Grün und Blau, wobei Rot und Grün sich zu reinem Gelb mischen, dieses wiederum mit Blau zum Weiß.
Blau und Gelb sind einander aber nicht komplementär, erzeugen sich nicht gegenseitig als Nachbilder und ihre gerade Verbindung verläuft nicht über neutrales Grau, sondern über einen grünlichen Ton. Komplementär zu Blau ist vielmehr Orangegelb, zu Gelb Violettblau. Die Abweichung beträgt jeweils ca. 1/12 des Farbkreises, so dass in Ostwalds Farbkreis, in dem die Kompensativfarben Blau und Gelb einander gegenüber stehen, die über Grün zu Blau verlaufende Hälfte gegenüber der über Rot feiner differenziert ausfällt.

Das Bestechende an seinem System besteht aber darin, dass es alle überhaupt möglichen Farbnuancen umfasst. Das muss bei Munsell nicht notwendig der Fall sein. Sein System kann sich auf das in Körperfarben heute Darstellbare beschränken, ohne die innere Ordnung auch nur im Geringsten zu beeinträchtigen. Für eine Kugelordnung a la Runge scheint aber eine Orientierung an den „wirklichen“ Außenfarben, wie sie Ostwald aus weißem Licht ableitete, unbedingt nötig, da die zufällig schon verfügbaren klarsten Farben dafür eine nur recht zweifelhafte Grundlage bilden.
Und natürlich ist auch Ostwalds Forderung nach exakter Messbarkeit zweifellos berechtigt, wenn man über vages Empfinden, das gerade bezüglich der Farbrelationen äußerst schwankend ist, hinaus kommen will.

Aber ist es denn wirklich notwendig, wie Ostwald zweigleisig zu verfahren, hie nach additiver, da nach empfindungsgemäßer Ordnung? Hat nicht Munsell bewiesen, dass eine Farbordnung auch rein nach Empfindungskriterien aufgebaut werden kann?
Seine Ordnung weist allerdings noch einen anderen als den schon erwähnten Makel auf. Zwar gibt es nach seinem Konzept gerade Farbverbindungen in allen Senkrechten des Farbraums, wie auch zwischen Grauachse und den Farben gleicher Helligkeit und gleichen Tones, was auch fast exakt zur Fortsetzung letzterer über das helligkeitsgleiche Grau hinweg in die komplementäre Gegenfarbigkeit führt, aber damit sind natürlich längst nicht alle möglichen geraden Verbindungen zwischen Farben maßgebend für sein System.
Auch fällt aufgrund der zentrischen Gliederung bezüglich  der Neutralachse die Differenzierung, der Grauachse naher, chroma- und hellgleicher Kreise feiner aus als die weiter entfernter.
So stellte sich mir die Frage, ob sich nicht die Gesamtheit möglicher Farbgeraden in einem einfachen räumlichen Ordnungsgefüge als homogenem Kontinuum darstellen lasse.
Bei der Untersuchung hellgleicher Ebenen stellte sich heraus, dass sich immer zwei Farbrichtungen am gegensätzlichsten zu einander abzeichneten, nämlich diejenigen in Gelb-Violettblau und die in Grün-Rot, also zwischen den Farben der unterschiedlichsten und denjenigen gleicher Eigenhelligkeit. Die nach Violettblau tendierenden Farben erweisen sich als leichter. Die nach Gelb neigenden schwerer, während Rot und Grün dazwischen vermittelten.
Es reifte in mir die Idee, dass eine konsequente Weiterentwicklung des Munsellsystems in einer dreidimensional gegliederten homogenen Struktur möglich sei.
Tatsächlich war eine rechtwinkelige Aufrasterung der hellgleichen Ebenen in zwei Dimensionen möglich, wobei nicht nur Farbgerade in den Parallelen der zwei Hauptrichtungen enthalten waren, sondern auch in solchen der zu ihnen diagonalen Richtungen. Das räumliche, in drei Dimensionen gleichmäßig gegliederte Gitter eines Farbraumes entstand als Repräsentation des Kontinuums aller möglichen Farbgeraden. Die Ordnung eines homogenen Farbrichtungsraumes ließ sich allein nach Empfindungskriterien entwickeln. Statt wie Ostwald (und viele sind ihm darin gefolgt) teils an der additiven Lichtmischung und teils an der Empfindung Maß zu nehmen, gelang es, ein einziges Maß aus der Empfindung abzuleiten, nämlich im sogenannten Fensterschema, das zu Reihen und zum Feld erweitert werden konnte, wie ich es in den Büchern mit dem lapidaren Titel „Farbe“ beschrieben und gezeigt habe.

Die eigentliche Bedeutung des Homogenen Richtungsraumes besteht darin, dass Farbform mit seiner Hilfe nicht nur bestimmt werden kann, indem jedem Ort auf der Fläche eine Farbe bestimmten Ortes im Farbraum zugewiesen wird, wie es anhand welches Systems auch immer ja schon bisher möglich war, sondern darin, dass mit ihm, aufgrund seiner homogenen Struktur diese Farbform nun auch in jeder möglichen Weise unter Beibehaltung ihrer Gestalt farbig abgewandelt werden kann.
Wenn etwa die Farbform runder Erscheinung ihre Gestalt gefunden hat, so kann sie nicht nur wie die Oberfläche der „Rungeschen Farbkugel“ (angenommen sie erschiene rund) unter Beibehaltung ihrer Gestalt vergraut werden, sondern auch in verschiedene farbige Milieus getaucht werden. Gleiches gilt für die Gestalt konischer Erscheinung (die nicht Ostwalds Kegelordnung entspricht).
Eine Ausbildung der sphärischen Körper wird überflüssig. An ihre Stelle treten die Gestaltungsschemata der sphärischen Erscheinungen. D.h. der Homogene Farbraum erhält fundamental instrumentale Bedeutung für die farbige Variabilität von farbigen Gestaltungen. Ja, man kann mit Recht sagen, dass durch ihn Farbform erst wirklich fassbar wird.

Es ist das große Verdienst von Josef Albers, dass er die Kompositionsabhängigkeit der Farberscheinung auf neue und faszinierende Weise vor Augen führte. In einem Punkte ist ihm aber zu widersprechen: die Farbe „verändert“ sich in unterschiedlichen kompositorischen Zusammenhängen nicht („interaktiv“). Nicht nur, dass sie identifizierbar gleich bleibt, sie gibt vielmehr in der simultanen Erscheinung sehr konstant und absolut verlässlich ihre farbörtliche Position relativ zu den Bezugsfarben zu erkennen, wie sie sich in der homogenen Ordnung darstellt – kontrast- und richtungsbezogen.

Der Homogene Raum ist keine willkürliche Setzung, sondern liegt in der Natur unseres Farbsehens, d.h. aber der Farbe selber, denn Farbe existiert, streng genommen, nicht außerhalb unseres Sehens. Angesichts dessen kranken alle bisherigen Systeme an willkürlichen Ver-Ordnungen, die der wahren Ordnung in unserer Farbwahrnehmung nicht voll gerecht werden.
Wird denn aber das homogene System unserer Farbwahrnehmung voll gerecht? Gewiss nicht, Farbe bleibt in ihrer Fülle immer bildlicher Gestaltung vorbehalten. Aber mit der Erfassbarkeit der Farbform (deren Inhalte die farbigen Phänomene sind) gewinnt ein wesentlicher Teil der in unserer Wahrnehmung wirksamen Gestalt instrumentelle Verfügbarkeit.
Das hat auch, wie wir bezüglich der farbigen Variabilität der sphärischen Ordnungen schon bemerkten, seine Folgen für das in den bisherigen Systemen bereits an Gestalt Realisierte. Eigentlich muss die ganze Farbsystematik von daher neu überarbeitet werden.

Zu besonderer Systematik gelangte ich mit Farben sechsteiliger heller und dunkler Farbkreise, die ich anhand prismatischer Untersuchungen ermittelte, und die ich zu Eckfarben von Doppelwürfel- und Wabensystemen machte, mit denen ich sechsdimensional bewegte Strukturen verwirklichen konnte. Sie hängen in charakteristischer Weise mit dem Homogenen System zusammen und machen dessen Multidimensionalität anschaulich, die durch seine dreidimensionale Ausmusterung verschleiert wird, aber in ihm verborgen liegt (Bücher „Prismatische Farbordnung“ und „Colorrhythmische Querungen“).

Im Zeichen der Digitalisierung auch von farbiger Gestaltung erhält die Instrumentik, in der farbige Gestalt zur Weiterverarbeitung und zur Bildung höherer Komplexität von visuellen Phänomenen vorgebildet wird, immense Bedeutung. Was heute schon an Möglichkeiten in die Software Eingang gefunden hat, lässt sich erheblich vervollkommnen, indem die von mir entwickelten Systematiken verfügbar gemacht werden.

Der Homogene Richtungsraum ist als ganzer nichts Sichtbares, ist aber auch keine bloße Idee der Anordnung von Farben. Da in ihm alle potentiellen Farbgeraden und ebenen, allseitig gleichmäßig bewegten Farbflächen räumlich vereinigt konzipiert sind, umfasst er eine Fülle an Gestalt, die als solche nicht mehr fassbar ist. Farbige Erscheinung ist an Fläche gebunden. Der Farbraum geht also über das in Farbe Darstellbare hinaus, aber nicht in dem Sinne, dass er es verlässt, ihm jenseitig wäre (wie etwa eine höhere geistige Welt), sondern indem er mehr davon in sich enthält als sichtbar gemacht werden kann.
Was gemeint ist, lässt sich am leichtesten anhand des farbigen Kontinuums erklären, welches der Monitor mittels je 255 Nuancen in den Richtungen Rot, Blau und Grün herzustellen vermag. Theoretisch verfügt er so über 16 777 210  Farben, die so eng bei einander liegen, dass sie vom Auge nicht mehr unterschieden werden können. Dieses für die Gesamtheit der Farben repräsentative Universum ist imstande, alle nur denkbaren „Bilder“ darzustellen, wie wir es vom Fernsehen kennen, eine Unendlichkeit möglicher farbiger Erscheinungen, wie sie sich als solche der Darstellbarkeit entzieht.

Während sich nun aber die Organisation dieser Bilder auf Reproduktion vorgegebener Bildwirklichkeiten bezieht, enthält der Homogene Raum selbst die Gestalt von Bildern, zunächst derer von Farbgeraden und chromatischen Ebenen, dann aber auch derjeniger in bestimmten Gestaltungsschemen fassbarer „Farbformen“, die z.B. sphärische Erscheinungen wie runde, konische und zylindrische, oder mehrdimensional bewegte Farbstrukturen beinhalten.
Auch heute schon gibt es Farbgestaltungsprogramme, mit denen sich Bilder erzeugen lassen, leider aber noch nicht auf Basis der Gestalt, wie sie der Farbe im Homogenen Richtungsraum innewohnt.
Erst wenn dessen instrumentelle Möglichkeiten erschlossen sein werden, wird es gelingen, das kreative künstlerische Potential der neuen visuellen Medien in einer Weise zu erschließen, wie wir uns das heute noch gar nicht vorstellen können.
Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts setzte eine Befreiung der Farbkunst von der Abbildung ein, die zur reinen Malerei führte. Heute ist es an der Zeit, die Medien „vom Gegenstand zu befreien“ – nicht, als ob es keine Filme im heutigen Sinne mehr geben sollte (es gibt ja auch neben „absoluter“ noch gegenständliche Malerei), aber mit dem Instrument des Homogenen Richtungsraumes kann das Neuland reiner Farbgestaltung in den Medien entdeckt werden, was mit Sicherheit in andere, wohl auch anspruchsvollere Regionen führt als die bisher vom abstrakten Film betretenen.

Eines in Stücken

Das zerstörte Eine – zerrissen in Stücke:
Verlorenes Paradies
Im Stückwerk das Eine – gegenwärtig im Bilde:
Der Himmel einer Fülle


Keiner hat Glanz und Elend des Menschen so eindringlich beschworen wie Pascal. Auch unser Sehen hat Teil an diesem Doppelwesen unserer Existenz. Wohin wir auch blicken: Farbe, ein Schein, ein Hauch, ersterbend in schwarzer Nacht, wenn das Licht erlischt - erblühend, wenn es sie weckt aus dem gleißenden Weiß der Sonne in tausendfältiger Pracht und doch ein Nichts von grauem Dunst, unfassbar, ein flüchtiger Schemen –
                                                  alles zeigt sie, alles verbirgt sie.
Wir wissen so viel darüber, wie Stoffe und Licht, aber auch Augenoptik, Nerven und Gehirn sie hervorbringen, aber ihre Erscheinung selbst ist uns immer noch rätselhaft, denn wenn wir auch in wohlgeordneten Systemen alle nur möglichen Farben untergebracht zu haben meinen, so finden wir in ihren sorgsam geordneten Skalen einfach nicht die blitzenden Juwele, die uns aus Bildern von Delacroix hervorleuchten können, die schwebende Leichtigkeit der Farben eines Wolkenhimmels, wie ihn Turner gemalt hat, oder die dichte Körperlichkeit, in der uns die Farbenwelt eines Cézanne entgegentritt.
Der Grund dafür ist sehr einfach: jedes System zeigt uns die Farben jeweils in einer ganz bestimmten Komposition. Werden sie aus ihr herausgerissen, so erscheinen sie, bei aller identifizierbaren Gleichheit anders, ein nie endendes Excitement für ihren Gestalter, wie Albers resümierte.

Tatsächlich scheinen durch Umkomposition auch ganz neue Farben zu entstehen. Beispiele zeigen die beiden Bilder oben rechts auf Seite 36 meines Kataloges „Große Bilder“, die Setzbeispiele einer geschnittenen chromatischen Fläche zeigen: durch Vertauschung von Teilquadraten erscheinen diese nicht nur in veränderter Farbigkeit, sondern überschreiten zum Teil auch deutlich die Grenzen des ursprünglich geschlossenen Kontinuums (oben links), das repräsentativ für das Kontinuum der Gesamtheit aller Farben stehen kann.
Als Phänomen der „Steigerung“ ist die Erscheinung allen Malern seit eh und je vertraut. Der Farbe immer wieder neue Gesichter zu entlocken ist ihr Beruf, ihre Kunst, der etwas Unberechenbares innewohnt, aber auch etwas Gesetzmäßiges.
Überraschendes Auffinden neuer Phänomene bleibt eine unversiegliche Quelle schöpferischer Tätigkeit. Da ist nichts lehrbar. So legte der Antifarblehrer Albers den größten Wert darauf, dass sich seine Studenten ohne theoretische Vorgaben ins Entdeckerabenteuer des Gestaltens stürzten. Und was sie dabei ans Licht brachten hat uns alle erstaunen lassen (Mappenwerk „Interaction of Color“).

Aber es wäre falsch anzunehmen, das allein mache die Farbkunst aus. Spezifische Phänomene ergeben sich aus spezifischer Gestalt von Komposition und diese ist nicht nur durch die Relation der verwendeten Farben in Bezug auf ihre Orte auf der Fläche bestimmt, sondern auch farbig variabel.
So haben die Alten entdeckt, in welcher Gestalt Farben sich vom Hellen ins Dunkle verändern müssen, um die Erscheinung verschiedener Stoffe (matter, glänzender, samtener) hervorzubringen, nicht nur in einer Farbe, sondern in ganz verschiedenen Tönen.
Wenn das Gesetzmäßige an der Hervorbringung eines Phänomens nicht erfasst wird, bleibt dieses ein zufälliger Fund ohne umfassende Bedeutung, etwas, das sich im konkreten Sichtbaren erschöpft, statt bildhafte Qualität zu gewinnen. Erst wenn der Schlüssel gefunden ist, wie das Phänomen gestaltet ist und wie diese Gestalt in jeder möglichen Weise farbig abgewandelt werden kann, gewinnt es Bedeutung über das Konkrete hinaus, eine Bedeutung auf Allheit hin.
Als Form solcher Allheit von Farbgeraden und Ebenen haben wir die Ordnung des Homogenen Richtungsraumes beschrieben. Aber dieser birgt auch die Allheit all jener Phänomene, deren schematische Gestalt mit seiner Hilfe in jeder Weise abwandelbar erschlossen wird.
Das Sichtbare zerfällt in spezifische Phänomene, aber erweist sich zugleich in der Erkennbarkeit der Gestalt dieser Phänomene und der Erschließung ihrer Allheit mittels des Homogenen Richtungsraumes als Alleinheit.
Bilder sind offene Fenster auf diese Alleinheit hin, aber sie zeigen sie uns - auch wie Fenster - nur ausschnitthaft.
Glanz und Elend der Bilder!


Schema-Bild

Künstler wie Kunstliebhaber reagieren meist mit Empörung, wenn ich Bildkunst  unter dem Begriff des Schemas subsumiere. Wie kann man denn so etwas wie Kunst schematisch hervorbringen? Kann das kreativ sein?
Ja, auch ein Schema kann das Ergebnis eines Schöpfungsaktes sein, sogar seine bloße Anwendung, wenn es ein Phänomen in seiner Vielfalt erschließt, dessen Besonderheit in ihm seine Gestalt findet. Wie hätten denn die großen Meisterwerke der Vergangenheit geschaffen werden können, ohne die Fülle der in ihnen entwickelten farbgestalterischen Schemata!
Aber auch wenn mir das zugegeben werden mag, das eigentlich Ärgerliche meiner Bildauffassung als Schema besteht ja darin, dass es damit auch schon sein Bewenden hat: das Schema zugleich Inhalt? Ist das nicht Formalismus pur? Wird denn nicht etwas durch die Gestalt des Schemas aufgerufen an Bedeutungssinn, aufgrund dessen es erst den Anspruch auf Bildhaftigkeit für etwas erheben kann?
Da liegt in der Tat ein Unterschied, in dem sich mein Bildverständnis von dem der Alten einschneidend unterscheidet. Ohne gegenständliches Mehr, das über die Farbgestalt hinausgeht, war die Alte Kunst unmöglich. Die Form war Mittel der Darstellung auch von Inhalten, die jenseits ihrer konkreten Gestalt lagen.

In der Philosophie gab es schon sehr viel früher eine Abkehr von der Metaphysik als Vermittlerin von Wirklichkeitswissen. In der Kunst wurde ein vergleichbares Abrücken von der Identifikation der konkreten Bildwirklichkeit mit der ihr transzendenten Gegenständlichkeit erst mit dem Aufkommen der reproduktiven Medien (Photographie, Film) angestoßen, da dieses sowohl einer Reflexion der Bildmittel als eigenständigem Inhalt entsprang, als auch eine solche hervorrief, was unter anderem zur gegenstandslosen Malerei führte.
In der späteren Propagierung einer „Konkreten Kunst“ sehe ich die konsequente Vernichtung des alten Bildbegriffes, vergleichbar dem Empirismus in der Philosophie, aus der nur ein neuer Bildbegriff retten kann (vergleichbar dem „transzendentalen Realismus“ Kants): im farbformalen Schema wird vermöge der Homogenen Ordnung in unserer Wahrnehmung die Fülle der ganzen Vielfalt, in der es die Gestalt eines Phänomens erfasst, zugänglich. Das Konkrete wird durch diesen Bildbegriff in seiner geistigen Dimension erschlossen, denn die Fülle konkreter Möglichkeiten, die Gestalt eines Farbphänomens farbig zu variieren, ohne ihre Form zu verändern, ist im Konkreten nicht mehr zu realisieren, kann nur in Bildern geistig erschlossen werden.

Aber war diese Dimension des Geistigen nicht auch schon in alter Malerei enthalten? Stellt die Loslösung vom Gegenstand deshalb nicht doch letztlich einen nicht hinzunehmenden Verlust dar?
Ich denke, dass die freie Entdeckung und Entwicklung neuartiger visueller Phänomene im Konkreten Bild immer auch zu ihrem mittelbaren Gebrauch gegenständlicher Sinngebung führen kann. Durch die Entwicklung „absoluter“ Musik erfuhren ja auch die mit ihr in Oratorium oder Oper assoziierten Inhalte eine ungeahnte Bereicherung. So können sicher auch die beiden unterschiedlichen Bildbegriffe einander gegenseitig ergänzen und befruchten.

Gibt es aber nicht auch visuelle Gestalt, die sich aufgrund ihrer Komplexität der Einfachheit eines schematischen Zugriffes verweigert? Wie soll man den Schaffensprozess eines Klee verstehen, ohne sein ständiges Reagieren auf das schon Gestaltete mit einem Erfindungsreichtum ohnegleichen, der sein eingreifendes Handeln bestimmte, zu berücksichtigen. Das war doch nicht im voraus planbar und dessen formale Analyse erscheint auch im Nachhinein sinnlos, weil das Werk so einzigartig dasteht, dass eine etwaige „farbige Variante“ nur zum Hohn geraten könnte.
Vielleicht war aber Klees Vorgehen selber so etwas wie ein Schema. Dass ein Kenner die Autorschaft seiner Werke (abgesehen von Signatur) ohne weiteres feststellen kann, ohne das Einzelwerk bereits zu kennen, gibt doch zu denken.

Es gab noch vor meiner Beschäftigung mit der computergesteuerten Gestaltung eine Phase in meiner Arbeit, in der ich ein Gestaltungsschema praktizierte, dessen Unberechenbarkeit mir schon damals seine Bewältigung per Computer unmöglich erscheinen ließ.
Als ich dies einem Malerkollegen gegenüber äußerte, meinte dieser belustigt, mit Computer könne man doch alles machen.
Viele Jahre habe ich mich seither mit Computergestaltung beschäftigt und sehe dennoch keinen Anlass von meiner damaligen Überzeugung abzurücken.

Zu einer Einschätzung dessen, welche Schemata Klees Gestaltungsakte prägten, kann man ahnungsweise anhand seiner Bücher kommen. Sie sind von nahezu unüberschaubarer Vielfalt, bilden ein Geflecht aus unterschiedlichsten Intentionen, die gleichermaßen die konkrete visuelle Wirklichkeit wie auch das Mysterium des Seins, ja des Kosmos im Werden und Vergehen umspannen und seine Bildzeichen und –symbole bestimmen.
Bei aller Offenheit für verschiedenste Aspekte des Sichtbaren verschmolz er seine Einsichten im Gestaltungsakt zu einer unverwechselbar Klee´schen Welt, die meinen Lehrer Jochims, bei aller Sensibilität für ihre Reize, veranlassten, doch von ihr abzurücken mit der Äußerung, er wolle sich nicht „von Klee am Händchen halten lassen“.
„Das neue Sehen“, so meinte er, sei „keine neue Brille“, sondern ein neues Sehen – „Brille“ als Metapher für subjektive Entstellung sichtbarer Wirklichkeit, ja Wahrheit.
Im sichtbar Konkreten der Farbe, so fasste ich seine „Identitätskonzeption“ auf, enthüllt sich nicht nur der Inhalt des Sehens, sondern auch unserer eigenen Existenz
In der Gruppenarbeit mit ihm beschäftigten uns ausgiebig die räumlichen Dinge, das Vorkommen oder Zurückweichen aufgrund welcher kompositorisch-farbiger Gegebenheiten. Wichtig war ihm die Einheit von Farbe und Fläche, die er in Verläufen dynamischen Gleichgewichts auf die Bildebene hin zu gestalten vornahm.

Klees tastend improvisatorisches Vorgehen versuchte ich nun mit Jochims´scher Auswiegung der räumlichen Kräfte auf die Fläche hin auf die Weise zu verbinden, dass ich willkürlich auf die Fläche geworfene Farben so durch verschieden schnelle oder langsame Verläufe verband, dass die Gesamtgestalt ebenflächig erschien (ein Vorhaben, das meiner Meinung nach am ökonomischsten in beschränktem Format nass in nass in frischer Harzölfarbe zu realisieren ist und sich der Berechenbarkeit – die den Computer so nützlich macht - entzieht). Im Ergebnis lagen unterschiedlichste Farben verschiedener Helligkeit, Sättigung und Vergrauung in wechselnden Flächenformen ineinander übergehend nebeneinander.
Chaos und Ordnung, die bei Klee so eine überragende Rolle als Pole des Gestaltens spielen, wurden in diesen Bildern nicht zeichenhaft repräsentiert, sondern gewannen ausschließlich farbformale Gestalt.
Jochims´ Schemata einfach gerichteter Verläufe verließ ich und damit auch wohl sein Verständnis von Schema, das auf einfachste Mittelbarkeit farbiger Wirklichkeit zielte, indem ich verlaufende Verbindungen zwischen Flächenformen in allen Bildrichtungen herstellte.
Das farbformale Schema meiner Bilder führte zu vielen sehr verschiedenen Varianten, die alle friedliche Harmonie von Ruhe in Bewegung, Schönheit und je besonderem Charakter ausstrahlen. Zum ersten Male erfuhr ich in ihrer Gestaltung die Beherrschbarkeit formender Kräfte der Farbe, nicht durch theoretisches Kalkül, sondern durch praktische Ordnung von visuellen Empfindungen.

Nur ein Schritt aber konnte die Vielfalt der Verlaufsgestalten und der durch sie doch irgendwie getrennten Flächenfiguren überwinden und zu der von Jochims programmatisch verkündeten „Einheit der Fläche“ führen: der Schritt zum Gleichmaß allseitiger Farbbewegung in den Kontinuen der chromatischen Flächen mit ihrer charakteristischen Erscheinung in der Mitte in Raum verwandelter Farblosigkeit, die doch nichts Durchsichtiges hat und deren Bildhaftigkeit ich erst in der Koordination ihrer Fülle mittels homogener Ordnung, dem alleinen Universum dieser Seinsmonaden, erkannte, mit ihr aber auch die schmerzliche Begrenztheit des konkreten Bildobjektes schlechthin.

Doch damit war das Entdeckungsabenteuer nicht beendet. Wenn es gelang, Farben in der Ebene im Gleichmaß zu verbinden und so die Identität von Farbe und Fläche zu realisieren, wäre es wohl auch möglich, eine Kugel ihrer Oberflächenform gemäß zu fassen.
Diese Idee war nur nach vielen Versuchen in Annäherungen zu realisieren, ebenso die Fassung von Kegeln. Und das wiederum führte zur Darstellung von Rundheit und Kegelformen auf der Bildfläche, die ganz aus der Form der Farbe schöpfte und nur wenig mit gegenständlicher Darstellung von sphärischen Körpern zu tun hatte – denn in sie ging auch die bei realen Körpern unsichtbare Rückseite mit ein.
Langsam gewann ich auch eine Vorstellung davon, wie anhand der Relationsgestalt von Farben bestimmter Orte auf den Farbkörpern im Homogenen Raum durch die Verlagerung dieser Relationsgestalt im Farbraum farbige Varianten der Körperdarstellungen zu erzeugen waren, ja ihr farbformales Schema bildhafte Qualität für die Fülle möglicher farbiger Varianten annahm. Der Begriff von „Farbform“ in seiner umfassenden Bedeutung schälte sich mehr und mehr heraus.
Auf den beiden letzten Bildseiten der fünf Bilderbücher zu diesem Text findet sich eine Kurzdarstellung der Erkenntnisse, die ich über viele Jahre hinweg erarbeitete.
Sie können einer Wissenschaft der Farbkomposition Bahn brechen, die immer auch der Entfaltung eines Begriffes von Farbe selbst dient, denn wie schon erwähnt, lässt diese sich nicht in ein System einsperren oder auf natürliche Gegebenheiten reduzieren, sondern kann nur in der Vielfalt ihrer möglichen Erscheinungen nach und nach durch schemabildliches Gestalten erschlossen werden.
Ohne den aktiven malerischen Beitrag zur Realisation der Farbe zu würdigen, kann man Farbe nicht lehren. Es ist falsch, Farblehre als künstlerisches Mittel zu betrachten. Solange sie nicht zum Inhalt der Kunst wird, wird sie diese eher behindern. Nur in der Kunst ihrer Gestaltung kann man erfahren, was Farbe in Wahrheit sei.

Und wie steht es mit der künstlerischen Freiheit? Wird sie nicht im Schema begraben? Wenn man unter ihr Beliebigkeit versteht, das bloße Ausleben von subjektiven Vorlieben, Dominanz über Andere in Selbstherrlichkeit ohne Rücksicht auf Verluste, dann ist es ja nicht schade um sie. Wahre Freiheit kann sich nur angesichts der ewigen Ordnungen entfalten.
Was in der Bibel mit „Chaos“ benannt wird, ist nicht gleich zu setzen mit zufälligem Durcheinander (dem berechenbaren Zufall der Richter´schen Glasfenster). Vielmehr schlummern und gären in nuce bereits alle Ordnungen in ihm. Chaos ist gewissermaßen am Widerpart der Ordnung gesteigerter Zufall. Schemabildliches Farbschöpfen trägt ganz in diesem Sinne den Charakter der Chaos-Schöpfung: indem Ordnung den Zufall zum Chaos gestaltet, erweckt sie Farbe zum Leben, setzt das in unserer Sehnatur enthaltene Potential frei.
Wer auf seine Freiheit pocht, hat noch nicht begriffen, dass er sie allenfalls aktiv zu erringen vermag, aber nie schon hat.



Prismatische Farben

Bekanntlich wird weißes Licht, wenn man es durch einen Spalt und auf ein Prisma lenkt, durch dieses in ein farbiges Spektralband zerlegt. Der Physiklehrer hat uns das vorgeführt.
Was aber noch nicht alle wissen: man kann auch einen weißen Strich auf schwarzem Grund durchs Prisma anschauen mit ähnlichem Ergebnis. Goethe hat deshalb geschlossen, dass es sich bei den prismatischen Erscheinungen nicht eigentlich um Zerlegung von weißem Licht handle, wie Newton seine Experimente deutete, sondern um Bildbrechung im Zusammenwirken von Licht und Finsternis, fand er doch auch an einer einfachen Schwarzweißgrenze, die er durchs Prisma betrachtete, farbige Ränder, entweder von schmalem Orangerot und breiterem Gelb oder, wenn man die Seiten von Schwarz und Weiß vertauschte, von breitem Violettblau und schmälerem, hellem Türkis (seinem „Eisblau“). Das Entstehen des Spektrums erklärte er aus dem Zusammenwirken dieser beiden Randphänomene. So entsteht auch bei Durchsicht auf das Bild eines schwarzen Streifens auf weißem Grund so etwas wie ein Gegen-Spektrum, in dem sich Innen und Außen verkehren.

Es lohnt sich, verschiedene kompositorische Situationen durchs Prisma zu betrachten. Man wird dabei auf eine eigenartige Besonderheit stoßen, die an schmalen Streifen beliebiger Farbe auf beliebig farbigen Untergründen zu beobachten ist: sofern Ablenkungen erfolgen, was in den meisten Fällen geschieht, kann man in ihnen jeweils deutlich drei Schichten in gestufter Aufeinanderfolge sehen. Wenn sich bei bestimmtem Abstand des Prismas vom Bild die zweite von der ersten Schicht um eine Stufe entfernt, so die dritte um zwei, wobei die Schichtbreite der Streifenbreite entspricht, so dass wirklich der Eindruck entsteht, als handle es sich um Überlagerungen dreier Bilder des Streifens, die sich wie verschiedene Farbauszüge übereinander geschoben haben.
Aber nicht in allen Fällen erkennen wir drei, manchmal nur zwei Schichten, oder gar nur eine, die jeweils auf verschiedenen Stufen auftreten können. Ich nenne das ein-, zwei- oder dreikomponentielle Brechung (siehe mein Buch über „Etwas andere Prismenversuche“).
Und, was mich am meisten erstaunte: es sind nicht etwa bestimmte Farben (spezieller Wellenlängen) die bestimmte Brechungen hervorrufen, vielmehr kann ein und dieselbe Farbe auf verschiedenen Hintergründen ein-, zwei- oder dreikomponentiell gebrochen werden.
Auf einem Hintergrund bestimmter Farbigkeit gibt es aber nur ganz bestimmte andere, die jeweils ein-, zwei- oder dreikomponentiell gebrochen werden.
Offenbar gibt es ein sehr genaues Beziehungsgeflecht unter den Farben, das sich in diesen prismatischen Phänomenen zeigt.
Während die herkömmliche Physik anhand der additiven Lichtmischung wunderbar in der Lage war, Farben aufs Feinste zu differenzieren und zu identifizieren, scheint die Bildtheorie Goethes dazu geeignet, darüber hinaus die Farbrelationen, ihre örtliche Lage zueinander im Farbraum objektivierbar zu machen. (Man lese dazu auch Ingo Nussbaumers Beiträge zur Farblehre über die „Unordentlichen Spektren“)

Es waren nicht nur diese prismatischen Untersuchungen, die mich zum Doppelwürfelsystem führten, das den meisten Bildern der vorliegenden fünf Bücher zugrunde liegt, sondern auch noch eine andere Beobachtung, die ich in der Arbeit mit Farben eines einfachen Farbwürfels machte. Mit ihnen hatte ich erstmalig die Idee vierdimensionaler Gestaltung ins Auge gefasst. Seine dreidimensional gleichmäßig ausgemusterte Struktur erlaubte es (in senkrechten Bahnen) nicht nur drei von einander unabhängige, unterschiedliche Bewegungsstrukturen mit einander zu koppeln, indem sie verschiedenen Richtungen der Bildebene zugewiesen wurden; man konnte vielmehr auch die Orientierung für die dimensionalen Ausrichtungen verändern, wobei die Bewegungsstrukturen zwar erhalten blieben, sich aber dennoch alle Farben in einer vierten Richtung veränderten.
Die Ergebnisse (wie in Bild 1) führten aber zu einer unerwarteten Erkenntnis: der Richtungswechsel der Farbdimensionen änderte nicht diese Dimensionen selbst, an die offenbar die Kontrastwirkungen der Farben und damit ihre Erscheinung geknüpft waren. Mit anderen Worten: es handelte sich nur um eine kompositorische „vierte“ Dimension. Farbig konnten tendenziell die gleichen Töne in den dimensionalfarbig verschieden orientierten senkrechten Streifen erscheinen, nur in anderen Richtungen des Bildes kontrastiert. Es entstanden durch diese Aktion keine „neuen“ Farben.
Erst als ich die Dimensionen selbst veränderte, indem ich in den Farbwürfel einen, in seinen dimensionalen Richtungen versetzten, kleineren einschrieb, konnte ich Zwischenfarben neuer Tönungen mit ihm erzeugen, allerdings nur in abgeschwächter Farbigkeit. In den beiden Zwischenzonen von Bild 2 erscheint deshalb der Kontrastumfang der verwendeten Farben reduziert, was aufgrund des Gebrauchs des kleineren Würfelraums zwar verständlich war, aber nicht den vollen Möglichkeiten in den neuen Farbrichtungen entsprach.
So drängte sich mir die Idee auf, Farbwürfel gleicher Größe in gegenseitiger Verdrehung zu jeweils dreidimensional strukturierten Körpern, die sich teilweise räumlich deckten, auszumustern.

Wie aber waren die Eckfarben solcher Würfel zu wählen, um mit den Körpern den möglichen Farbraum optimal auszuloten?
Da half mir eine Erwägung weiter, die mit der systematischen Beziehung zwischen den sogenannten Primär- und Sekundärfarben zu tun hat. Während die primären Lichtfarben, wie sie vom Monitor genutzt werden, dunkler sind als ihre sekundären Mischfarben, ist es bei den Druckfarben umgekehrt. Will man aus primären und sekundären Farben zu Farbkreisen kommen, so sind weder die pigmentären Farben noch die Lichtfarben dazu geeignet, obwohl sie beide Sechseckbeziehungen im Farbkreis zu beinhalten scheinen: die hellen Mischlichter oder Grundfarben sind zu hell, die Grundlichter oder Mischfarben sind zu dunkel, um in einen Farbkreis zu passen.
Zwei Möglichkeiten bieten sich an, um aus der misslichen Lage gestalterisch doch noch heraus und zu gleichmäßig bewegten Farbkreisen zu kommen: entweder, man vermittelt zwischen den Helligkeiten der helleren und dunkleren Grund-/Misch-Farben – das ist nur auf Kosten der Reinheit von Gelb und Blauviolett möglich - oder man sucht Zwischenfarben auf den unterschiedlichen Höhen sowohl der Primär- als auch der Sekundärfarben.
Letztere Möglichkeit ließ sich mit meiner Idee der ineinander verdrehten Würfel verbinden: beide spannten sich zwischen Weiß und Schwarz als räumlich gegengerichteten Ecken aus, wobei jeweils die hellen wie auch die dunklen Farben der Weiß und Schwarz benachbarten Eckfarben auf sechsteiligen, gleichmäßigen Farbkreisen lägen. Eine Realisierung dieses Konzeptes schien auch aufgrund der an Kugelfassungen gemachten Erfahrungen geeignet, um den möglichen Farbraum möglichst voll auszunützen.
So gestaltete ich mein erstes Doppelwürfelsystem in Harzölfarben und erweiterte es zu einem Doppelkegel-Zylinder-System, in dem auch die senkrechten Verbindungen zwischen Weiß, je zwei Farben gleichen, beziehungsweise Gegen-Tones und Schwarz hergestellt wurden (siehe mein Katalog „Gestaltsymmetrien“), ohne ganz damit zufrieden zu sein, hauptsächlich, weil es nicht auf reines Weiß und reines Schwarz ausgerichtet war.

Erst in neuerer Zeit entdeckte ich mit den einkomponentiell auf Mittel-, Hell- und Dunkelgrau gebrochenen Buntfarben solche, die zwei rudimentäre helle und dunkle sechsteilige Farbkreise bilden und sich als Eckfarben von Doppelwürfeln eignen (Bildseite 3). Ihre Symmetrien werden in ihren kreisförmigen Durchdringungen auf verschiedenen Hintergründen von Bild 4 schön sichtbar. So etwas wie die innere Logik einer Beziehung aller 14 exponierten Eckfarben zueinander wird sichtbar (die Nähe zu Nussbaumers Darstellungen zu den Grund- und Mischfarben in den „Unordentlichen Spektren“ liegt auf der Hand).
Die beiden Farbkörper mischte ich in je 13 x 13 x 13 Farben aus. In den Bildern 5 und 6 sehen wir Abwicklungen der Außenflächen der Würfel, die zu Rauten verformt wurden. Die Bilder 7 und 8 zeigen parallele Schnitte durch die Würfel in verschiedenen räumlichen Richtungen.



Gerade lineare Farbbewegung

Wir schauen in gerader Richtung, bewegen uns gehend entlang eines Weges – Grunderfahrungen, die in der geraden, linearen Farbbewegung ihre bildliche Entsprechung finden.
Ihren klarsten, reinsten Ausdruck findet diese, wenn in einer Richtung der Bildfläche gleiche und in der dazu senkrechten variierende Farben enthalten sind. Wir bewegen uns gleichsam mit seitlich ausgestreckten Armen, zu jeder Farbe hin unsere Fühler ausstreckend, geraden  Weges auf immer wieder neue zu, in die wir ebenfalls unsere Antennen ausfahren.
Der Wahrnehmungsprozess kann sich in Schritten vollziehen, ist aber im Wesen kontinuierlich. Die Bildfläche, der Boden, auf dem wir uns bewegen, stolpert nicht, sondern trägt uns.

Wenn wir von Farben reden, so meinen wir im allgemeinen bunte. Aber auch Schwarz, Weiß und Grau sind Farben. Wir nennen sie neutral, weil sie zu keinem der vielen verschiedenen, auch wohl einander widerstreitenden Charaktere tendieren, die so starke Emotionen auslösen können.
Diese Unbunten sind aber nicht nur durch ein Negativum ausgezeichnet, sondern auch durch eine Sonderstellung, die ihnen im Farbenkosmos eine einzigartige Bedeutung verschafft. Sie umspannen den stärksten Helldunkelkontrast und verkörpern in diesem am reinsten die formende, strukturgebende Kraft der Farbe. In ihrer Helligkeit tragen alle Farben etwas Gemeinsames mit den „Nicht-Farben“. Sie werden durch diese mit einander verbunden, wie es eben nur durch „neutrale Vermittler“ möglich ist.

Und da das ganze Farbuniversum in homogener Ordnung aus lauter Farbgeraden besteht, kann die lineare Bewegung des neutralen Helldunkel auch bildhaft für die Fülle möglicher gerader Farbverbindungen stehen. Der Weg kann von Weiß aus nach Schwarz, oder in umgekehrter Richtung beschritten werden. Man kann zwischendrin stoppen, Sprünge machen, schneller oder langsamer werden, sich zurückwenden – der Möglichkeiten sind viele.
Auf Bildseite 9 sehen wir einige davon, wobei unterschiedlich von einander entfernte Farben zusammenstoßen, oder sich Schritte zu kontinuierlicher Bewegung reihen können, beschleunigt oder verlangsamt. – Farben beginnen sich zu artikulieren: Weiß, Hellgrau, Dunkelgrau im Bild rechts oben. Es bildet sich Relief, ein Vorkommen und Zurückweichen von Wölbungen in den mittleren Bildern. Räumliche Verdichtungen und Dehnungen, Dunkelheit und Lichthaftigkeit, Schatten- und Leuchtfarbiges, Schwebendes und Schweres differenzieren sich in den unteren Bildern.
Auffallend bemerken wir eine formale Symmetrie bei Umkehrung der Bewegungspole dunkel/hell oder hell/dunkel.
Die Verlagerung der Bewegungsrichtung in die Diagonalen ermöglicht bei gleicher Ausdehnung aller Farben in Richtung ihres Gleichbleibens zugleich ihr Abschneiden wie auch Zusammenkommen an linkem und rechtem, oberem und unterem Bildrand, was eine die Grenzen der Bilder aufhebende Möglichkeit von Endlosstruktur anzeigt – Bild ist Ausschnitt und Ganzes zugleich, es endet nicht im Konkreten, sondern öffnet es für ein unendliches Mehr, das über es selbst hinausweist – nur einen Spalt breit öffnen die 6 Bilder die Tür zur Fülle der Möglichkeiten, die der Leser selber gestaltend weiter erkunden möge.

Hier wollen wir nur noch ein wenig bei dem Schema der unteren Bilder verweilen. Es folgt einer ausgeklügelten Systematik. Die verschiedenen Streifengruppen sind unterschiedlich breit und weisen in sich alle eine Schmälerung in der Streifenbreite, im linken Bild zum Dunklen, im rechten zum Hellen hin auf. Ihr Kotrastbereich von je sieben Stufen verschiebt sich auf der Grauskala in den Folgen dunkler und heller Gruppen um je eine Stufe, gekoppelt mit Vergrößerung der Gruppenbreite, links zum Helleren, rechts zum Dunkleren hin.
So ist der schmalste diagonale Gruppenstreifen im linken Bild schwärzlich. Ihm folgen nach rechts oben zwei breiter und farbschwächer werdend abgehobene dunkle Streifen. In der rechten oberen Ecke beginnt, wieder etwas breiter und heller werdend, der vierte Gruppenstreifen, der sich unterhalb des schmalen, schwärzlichen Diagonalstreifens in der Zusammensicht von oberem und unteren Bildrand fortsetzt, nun aber in Helligkeit umschlägt und sich über den dünnen Schattenstrahl mit den noch mal verbreiterten hellen Hintergrundzonen verbindet, die vom unteren Rand nach oben springend in den breiteren Regionen der Umfelder bis zum schmalen schwärzlichen Diagonalstreifen reichen. Linkes und rechtes Bild spiegeln einander formal, aber in vertauschtem Helldunkel.

Helles und Dunkles werden gemeinhin als stärkste Gegensätze betrachtet. Sie verhalten sich auch bei der optischen Mischung, deren Gesetze man am einfachsten mit dem Kreisel erforscht, sehr verschieden. Schon ein Viertel der Kreisscheibe genügt, um, in Rotation gebracht, mittleres Grau zu erzeugen. Offenbar ist auch die optische Durchsetzungskraft heller Partikel im Mikrobereich der Komposition stärker als die dunkler. Weiß wird leicht mit dem blendenden, aktiven Licht der Sonne, Schwarz mit dem tiefen, passiven Dunkel der Nacht assoziiert.
Hier aber scheint im Formalen ein einfacher Austausch der Extreme möglich. Es ist, als ob ein Gegenstand, der aufgrund einer Kontrast-Relations-Bewegungs-Struktur entsteht, nur die Farbe wechselt. Nicht der Seinscharakter von Hell und Dunkel, sondern die Dynamik zwischen den Polen führt zur vergleichbaren Ähnlichkeit von Schwarz und Weiß als austauschbaren Trägern farbformaler Gestalt, selbst wenn diese auch in Positiv- und Negativform-Entsprechungen gesehen werden kann.

Im räumlichen Vor und Zurück lässt sich die Komposition recht genau erfassen. Sie wiederholt sich farbig abgewandelt in allen Abbildungen der 5 Folgeseiten. Ihnen liegen verschiedene Farbgerade in den bereits erwähnten Würfelsystemen zugrunde. Je stärker ihr Helldunkelkontrast ist, desto ausgeprägter erscheint das räumlich plastische Modell. Wird die durchmessene Helligkeitsspanne kleiner, so vermindert sich seine Deutlichkeit bis zu fast flacher Erscheinung, wobei aber immer noch die rhythmische Struktur erhalten bleibt – Tiefenwirkung scheint durch energetische Spannungen ersetzt.
Mit den verschiedenen Farben verbinden sich Temperaturempfindungen, Materialanmutungen, Weichheit oder Härte, Schärfe und Milde, Ruhe, Leidenschaft, Gleichgültigkeit, Aufregung. Dabei spielt die Bildstruktur immer eine bedeutende Rolle, sei es, indem sie den emotionalen Ausdruck der Farben verstärkt, oder ihm auch entgegensteht (Bildseiten 10-14).
Kandinsky und Itten haben großen Wert auf eine Einheit von Form- und Farbaussage im Sinne einer „innerlich notwendigen“ Beziehung gelegt. Sie gingen dabei von Farbe und Form als zwei von einander zunächst unabhängigen inhaltlichen Faktoren des Gestaltens aus, die erst durch den künstlerischen Akt auf einander abgestimmt werden müssten.
Im vorliegenden Fall ist die Form von vornherein farbig festgelegt. Es scheint aber sinnlos, der einen oder anderen farbigen Variante den Vorzug vor anderen zu geben. Gewiss mag der Betrachter seine Präferenzen haben. Aber er wird doch in jeder Fassung einen eigenartigen Reiz wahrnehmen, ob er diesen nun mag oder nicht.

Beim Bilden der Beispiele fiel mir auf, dass das Gelb in den mittleren Darstellungen von Bildseite 11 im Gegensatz zu den ziemlich reinen Farben in Cyan und Magenta ganz und gar nicht rein wirkte. Erst als ich statt Verbindungen zu Weiß solche zu Rot, Schwarz, Grün (B.-S.12) und Violettblau (B.-S.13) herstellte, erschienen satte, den anderen Farben mindestens ebenbürtige Gelbtönungen.
Das erinnerte mich an den ständigen Kampf Van Goghs mit dem Gelb, der ihn geradezu zur Raserei trieb. Wie nur lässt es sich integrieren, wie sind seine vielfältigen Gesichter unter einen Hut zu bringen? Nirgendwo als in ihm wird deutlicher, dass die Wahrheit einer Farbe nicht in der Beziehung zu einer einzigen anderen liegen kann. Und schlagartig kann einem bewusst werden, worin all diese an sich sauber gestalteten, ja von faszinierender klinischer Sterilität beherrschten Bilder an einem fundamentalen Mangel leiden.
Van Goghs Denken in Gegensätzen, besonders der Komplementarität, deren Steigerungspotential ihn begeisterte, sollte später auch die blauen Reiter beflügeln zu einer „Harmonie der Gegensätze“. Ihr Wegbereiter verglich Komplementäre mit Eheleuten, die sich in einer Wesensgemeinschaft zu einander finden, sich gegenseitig liebend in ihrer Identität bestätigen. Aber was wäre Partnerschaft, die sich letztlich nur selbst dient. Sie ist auf das verbindende Dritte hin angelegt, das Fruchtbringen in erweiterter Gemeinschaft. Schopenhauers „Bipartion der Retina“ ist nur eine, aber nicht die ganze Wahrheit der Farbe. Sie wird erst in der räumlichen, multidimensionalen Einbettung in einer Gemeinschaft aller Farben erkenntlich.

Eine tiefe Bildhaftigkeit für die Menschen offenbaren hier die Farben. Ihr Charakter zeigt sich, indem sie zu allen anderen in spezifische Relation treten. Zum eigenen Ich gelangt auch der Mensch nicht anders, als dass er sich gegenüber verschiedenen anderen Menschen positioniert, was nicht heißt, dass er ein für alle mal auf seinem Standpunkt verharrt, so oder so ist, sondern sich in allen Fällen auf seine Weise verhält, indem er seine Antworten auf verschiedene Situationen gibt, die weder von diesen Situationen noch von einem fixen Selbst allein abhängen, sondern vor allem von seiner freien Persönlichkeit.
Es ist durchaus zweifelhaft, wenn ein malerisches Genie wie Kandinsky das Gelb auf einen spitzen, trompetenhaft gellenden Klang festnagelte und nicht zugleich von seiner Schwere gegenüber den gleich hellen Farben sprach, die etwas von der Weichheit, Reinheit und Vornehmheit des Goldes hat. Man könne es nicht verdunkeln, ohne ihm seine Kraft zu nehmen, meinte er, aber gewann das sprichwörtlich gewordene Rembrandtgold sein geheimnisvolles Leuchten nicht gerade im Dunkel? Gewiss hat jede Farbe ihre besondere Qualität, aber sie äußert sich nicht in einer mit ihrer Dinglichkeit verknüpften „Eigenschaft“, sondern in ihrer relativen Position gegenüber allen anderen Farben, aus der sich die unterschiedlichen Möglichkeiten ihres jeweiligen Aussehens ergeben.


Dimensionales Konzert

Wenden wir uns nun dem ersten von 250 Bildern in 5 Büchern zu (zur Unterscheidung von den in diesem Buch enthaltenen Bildern, deren Seitenziffern von nun an ein B vorangestellt werden soll, sollen denjenigen in den Bilderbüchern jeweils 2 B vorangehen, in diesem Fall handelt es sich also um BB1). Dem ordnenden Prinzip hat sich in ihm ein chaotisches beigesellt. Wir erkennen in den nach links steigenden Diagonalstreifen das Schema wieder, das wir in verschiedenen farbigen Fassungen eindimensionaler Farbbewegungen kennen gelernt haben, aber es wirkt gestört. Andere Bewegungsrhythmen kommen ihm in die Quere. Die eindeutige Zuordnung von Farben ist aufgehoben. Ein buntes Spiel von relativ hellen Farben wechselt mit dunkleren, teils recht kräftigen Tönen in den Zwischenzonen. Zusammenklänge verschiedenster Art machen es schwer, die Vielfalt der Farben noch zu fassen. Sie reicht von hellen Pastelltönen bis zu gewichtig dröhnender Dunkelheit, sich gegenseitig reibenden warmen und kalten Lichtern in Rosa, Orange, Lila zu luftig atmosphärischem Grünblau im Wechsel mit kräftigem Rot und Violettblau. Unterschiedlichste Grüntöne, gelblich dunkle, eisig helle, saftig fette, phlegmatisch träge, sich in Dunkel verfestigende, verbinden sich über helle Gelbtöne wärmeren, süßlich duftenden Farben. Zart schwelende Liebesglut geht über in traurig melancholische Schwermut, aus der sich wieder befreiendes Durchatmen, ein erleichterndes Aufklaren erhebt.
Sucht man ähnliche Farben, so findet man sie überall verteilt. Bald schwellen sie an, machen Pause, brechen wieder hervor, bald oben, bald unten oder seitlich. Es ergeben sich Höhepunkte, Extreme verschiedener Art, Differenzen verschmelzen, Rhythmen bilden sich heraus, Bewegtheiten in Senkrechter, Waagerechter, Diagonaler stimmen in Vielklängen diffuser Art zusammen, nicht gestaltlos – es fügen sich Gruppen, vereint in unterschiedlichen Ähnlichkeiten, aber sie scheiden sich nicht von einander ab, sondern nehmen Beziehung mit einander auf, gehen in einander über.
Wie in einem Gerüst aus energetischen Strebungen fängt sich der Aufbau eines Raumes von ungreifbarer Eindringlichkeit, nicht vergleichbar mit der Leere unserer Alltagsräumlichkeit, der die Dinge Grenzen und Fassbarkeit gewähren, ein Raum vielmehr, den die Farben selbst bilden, statt ihn in Oberflächen abzuweisen.
Alles im Bild ist einmalig und alles ist wiederum mit allem verbunden. Farben und Formen gehen aus einander hervor, stimmen sich gegenseitig ab wie Klänge, Melodien und Rhythmen in einem Konzert. Es gibt vielfältige Tonfolgen, Akkorde, Kadenzen, Klangfarben, Motive, die sich verweben in dichtem Geflecht und die eine mystisch anmutende Einheit bewirken.
Aber diese Einheit hat keinen mystischen Hintergrund, sondern seine natürliche Quelle in der homogenen Ordnung unsres Farbsehens.
Was wir mit der geraden linearen Bewegung zwischen polaren Gegensätzen kennen lernten, hatte zu hermetischem Selbstbezug der Farben geführt. Nun wird sichtbar, wie die unterschiedlichen Farbgeraden im Raum zusammenhängen, ein Kontinuum bilden, das in wechselnden Richtungen nach unterschiedlicher Weise begangen werden kann, in dem es neben Brüchen auch Brücken gibt – was in einer Richtung zerreißt, wird in anderer verbunden durch Zerreißungen, die ihrerseits vernäht werden durch andere.
Von Cézanne wird berichtet, er habe die Farben auf die Fläche hin dicht machen wollen, sie mit einander zu verschränken versucht, wie Hände mit gespreizten Fingern in einander greifend sich falten, so fest, dass die Wahrheit nicht entschlüpfen könne.
Im Gegensatz zur körperlichen Dichte seiner Farben wirken die Farben unseres Bildes immateriell als Träger von Spannung und Spannungsausgleich zwischen räumlichen Kräften. Hatte Cézanne die Farben der Natur zur Bildwahrheit verdichten wollen, so werden sie hier für das Mysterium der Natur unseres Farbsehens geöffnet.

Ganz nüchtern geschieht das nach dem technischen Schema des Zusammenwirkens verschiedener dimensionaler Bewegtheiten, wie wir sie kennen gelernt haben, in einer Zusammenschau, vergleichbar einem karierten Stoffmuster, in dem sich die Dimensionen verweben.
Es sei hier in seiner nackten Simplizität ohne jede inhaltliche Überhöhung vorgestellt.
Zu diesem Zweck habe ich zwei schon bekannte Bewegungsschemata mit Ziffern für die Gruppen versehen, die jeweils Anfangs- und Endstufen der Farbfolgen in den Teilbereichen angeben (B15,16). Wie bekannt, entstammen die Farben einer 13-stufigen Skala, die ich hier mit 1 im hellsten Ton beginnen und im dunkelsten mit 13 enden lasse (die Farbstufen wurden gegenüber den schon bekannten zum Dunkeln hin verändert).
Eine farbig zweidimensional gestufte Farbebene, (mit Farben einer Grenzfläche eines der Würfelsysteme), die sich zwischen den Eckfarben Cyan, Nachtblau, Schwarz und Grün ausspannt (B17), habe ich ebenfalls mit Ziffern bezeichnet, solchen für waagerecht neben einander stehende Reihen und solchen der senkrecht über einander geschichteten.
Die Koordination von farbiger und formaler Dimensionalität geschieht nun ganz einfach so, dass im zu gestaltenden Bild (B18) Farben an allen Orten Verwendung finden, die so in der Flächenstufung von B17 aufgesucht werden, dass ihre Breite durch die Stufungen von B15, ihre Höhe durch die Stufungen von B16 bestimmt werden.
Alle Farben an allen Orten von B18 bilden also Resultanten aus waagerechten und senkrechten Bewegungskomponenten, die sich aus B15 und B16 ableiten und sich anhand von B17 farbig vereinen.
Die Streifenkompositionen von B15 und B16 kreuzen einander, ziehen sich nicht mehr in farbiger Einheitlichkeit über die Bildfläche hinweg und wirken dennoch in ihren Strukturen durchgängig erhalten. Eindeutigkeit hat sich in Zweideutigkeit verwandelt: mal treten die nach rechts oben , dann wieder die nach links oben gerichteten Diagonalen stärker in Erscheinung und mit ihnen verschiedene Farbkontraste – leuchtend giftiges Grün gegen nächtlich zurückweichendes Dunkel, oder atmosphärisch leichtes Blau gegen dunkles, schweres Gelbgrün. Die Gegensätze bilden aber ein Ineinander und können nicht völlig von einander abstrahiert werden. Geschiedenes wird durch Geschiedenes mit einander verbunden.
Ein Farbcharakter von vornehmer Frische zeigt sich im Zweiklang von Kontrastbildung in unterschiedlicher rhythmischer Bewegtheit. Alle Farben sind zwiefältig eingebunden und kontrastiert in Stufungen, die sich nun nicht mehr nur in einer Richtung bewegen, sondern in feldlicher Zweidimensionalität.

Abgewandelt anhand der Gegenfläche auf dem Würfelkörper (B19), deren Randfarben sich von Weiß über Hellmagenta zu dunklem Orangerot, Gelb und wieder zurück zum Weiß entwickeln, kommt man zu einem analogen farbformalen Gebilde, das uns nun aber in durchsonnter Wärme erscheint – Gelb/Rot der Kontrast in der nach rechts steigenden, rosa-/honigfarben in der nach links steigenden Diagonale (B20). Die mit einander konkurrierenden Gegensätze umspielen eine farbige Mitte von gezügelt freudigem Charakter. Beide Fassungen enthalten unterschiedliche Farbsteigerungen, die in je besonderer Art nach dem gleichen Muster funktionieren und doch zu völlig verschiedenem Ausdruck führen.
Verglichen mit BB1 wirken die Bilder einfach und klar gegliedert, verglichen mit den Fassungen linearer Farbbewegungen aber schon merklich reicher. Bildeten die Kontrastspannungen in letzteren nur formale Modifikationen, werden nun die Kontrastspannungen selber modifiziert durch solche in anderer Farbrichtung. Wirkten in den einfachen Bildern die Farben als solche, sich nur an einander profilierend, gibt es in den neuen Bildern streng genommen keine Einzelfarben mehr, nur noch Farbverbände, die sich zu höheren Einheiten von in sich variierenden Tönen fügen (gewissermaßen Haupt- mit Ober-/Unter-Tönen).
Eine Art Zweistimmigkeit in einander greifender Melodien bildet einen Zusammenklang, der eine ganz bestimmte Stimmung hervorruft.

Werden mit den gleichen feldlich gestuften Paletten die Farbrichtungen verkehrt, kommen wir zu den Bildern B21 und B22, zwar von ähnlicher Gestalt, vergleichbar den Umkehrungen der neutralfarbigen Schemen, aber in so veränderter Farbigkeit, wie wir sie kaum erwartet hätten. Überraschend zeigen sich „neue“ Farben, die wir in den ursprünglichen Fassungen nicht bemerkten. Dies geschieht auch, wenn nur die eine dimensionale Farbbewegung in ihrer Richtung umgekehrt wird wie in B23 oder B24.
Es ist hier nicht der Raum, die mögliche Vielfalt auch nur in Ansätzen zu entfalten, die sich mit den zweidimensional bewegten flächigen Stufungen ergeben. Es genügt, ihr Schema zu begreifen, das mühelos in die Dreidimensionalität erweitert werden kann. Anstelle von 2 treten 3 Bewegungsschemata, die in drei Richtungen der Fläche je eine Farbdimension erschließen. Zwischen die beiden Flächenstufungen von B17 und B19 werden dazu 11 weitere geschoben, die gleichmäßig von Seite zu Gegenseite durch den Würfelfarbraum gehend vermitteln und mit ihnen eine weitere Reihe von 13 Feld-Stufungen bilden, die für die dritte Bewegungsdimension maßgebend ist.

In den 96 in 16-er Gruppen zusammengestellten Farbfassungen eines dreidimensionalen Bewegungsschemas BB147-152 stehen die Bewegungsrichtungen zueinander in gleichen 60-Grad-Winkeln. Keine der Varianten wiederholt sich farbig, aber alle weisen ähnliche gestaltliche Struktur auf.
Eigenartig fand ich einen Unterschied von Bildern, die mit dem ersten oder dem zweiten Würfelraum gebildet wurden: während die 48 mit Farben des ersten Würfels gefassten Varianten BB147,148 und 152 Dreiklänge aus Farbkontrasten im Dur-Charakter ergaben, neigten diejenigen, die mit Farben des zweiten Würfels gestaltet wurden, nach Moll.
Die Entdeckung der Tongeschlechter war eine relativ späte Errungenschaft in der Musik, die bis in die Spätromantik hinein Differenzierungen im Ausdrucksspektrum erlaubte, die man zuvor nicht einmal hätte ahnen können. In der Farbkunst ist eine Unterscheidung des Zusammenwirkens von Farben in Geschlechtern bisher, zumindest theoretisch, völlig unbekannt und man weiß noch nicht, wohin sie führen könnte. Unsere Empfindung für das Neue ist noch nicht geschult.
Das Zusammenspiel von Farbklängen und Bewegungsschemen ist dabei sicher nicht ohne Belang, wie schon aus den Darstellungen ebenfalls dreidimensional, aber in anderen Rhythmen strukturierter Bewegtheiten der Bilder BB153-166 hervorgeht. – Der zurückhaltende, traurig-schmerzliche, eher weiche Charakter von Moll wird in den Bildern BB153,154,156-159,161,162,166 von der Bewegungsstruktur in ihrer Verhangenheit verstärkt, während sich der harte, strahlende, freudig-klare Ausdruck von Dur in gleicher Bewegtheit nicht so deutlich zeigt (BB155,160,163-165). Wir werden der Beobachtung von Moll- und Dur-Varianten beim Durchblättern der Bilderbücher noch öfter begegnen, wollen jetzt aber noch einmal zu BB1 zurückkehren.
In diesem Bild erkennen wir spezifische Strukturen von Bewegtheiten nicht nur in den Diagonalen und der Vertikalen, sondern auch in der Horizontalen. Wir haben ja schon einen Eindruck von der Bandbreite der farbigen Varianten eines dreidimensionalen Schemas gewonnen. Zwei solcher Varianten werden nun in Streifen, die von Seite zu Seite schmaler werden, abwechselnd in einander geschoben. Die gegenseitige Verdrehtheit der beiden Farbwürfel kommt ins Spiel, so dass das Bild ein Höchstmaß an farbiger Komplexität erreicht.
Man muss die Konstruktion aber nicht verstehen, man spürt auch ohne Wissen um sie die geheime Ordnung, die eine enorme Vielfalt von farbigen und formalen Relationen ermöglicht, ohne in Belanglosigkeit abzugleiten oder im Formalistischen zu erstarren. Etwas von der unfassbaren Lebendigkeit und Vielschichtigkeit der Farbe vermag sie frei zu setzen. Sie entspricht nicht den Ordnungen der äußeren Natur, wie sie uns durch ihre tausend organismischen Zufälligkeiten im alles umspielenden Licht besonders in der Wildnis fasziniert, sondern dem inneren Gesetz unserer Wahrnehmung um des Potentials willen, das diese in sich birgt. Im Verweis auf dieses Potential liegt das Bildhafte, das die konkrete Konstruktion sprengt, ihr geistig unendlich viel zuzudenken ermöglicht, wie z.B. die Bilder BB2-12 im gleichen farbformalen Schema, das sich jedoch jeweils anders konkretisiert.
Sieht man auf die hellen diagonal nach oben rechts verlaufenden Streifen auf relativ dunklen Bildgründen (BB1,4,5,8,9,12), so bemerkt man in ihrer Folge eine farbkreisartige Entwicklung ihrer Hauptfarben von Türkis über Grün zu Grüngelb, nach Orangegelb, Orangerot, schließlich zu Rotviolett. Diese Farben erscheinen in den nebenstehenden Bildern jeweils als helle Hintergründe. Es erfolgt also jeweils eine Umkehrung von „Figur“ und „Grund“. Und auch in den dunklen Farben sind Änderungen bemerkbar, die sich parallel zu den hellen entwickeln.
In den waagerechten Formationen heben sich in allen 12 Bildern hellere Lichtstreifen von dunkleren Gründen ab. In nebeneinander stehenden Bildern erscheinen gegenseitig mit ihnen ähnliche Farben in den nach links steigenden hellen Diagonalstreifen. In der paarweisen Folge wechseln ihre Hauptfarben wieder farbkreisartig.
Beim Durchblättern verschieben sich also nicht nur die Hauptfarben der Bildpaare im Farbkreis drehend, sondern verändern sich jeweils gesetzmäßig auch alle anderen Farbkonstellationen. Und mit den Gegensätzen und Ähnlichkeiten zwischen den jeweiligen Partnern schärft sich unser Auge für Nuancen ebenso wie für das Erfassen großer Zusammenhänge, begleitet immer von starker Empfindung für die je besonderen Harmonien, die im Zurückblättern wieder neu erscheinen können, denn es ist nicht gleichgültig für die Erscheinung, in welcher Richtung wir uns farbig bewegen.



Das immer Gleiche zeigt viele Gesichter

Als ich mein Studium an der Münchener Kunstakademie aufnahm, galten sogenannte „Farbübungen“ in der Oberberger-Klasse als A und O für Anfänger. Vorbild dafür waren Ittens Lehren in seinem Buch „Kunst der Farbe“. Ein wichtiger Grundgedanke von ihm war, dass der Schüler sich vor allem vom formenden Gestalten befreien müsse, um sich ganz dem farbigen hinzugeben. Dazu hatte er eine geniale Idee ersonnen, die von uns Studenten augenzwinkernd „Kästchenmethode“ genannt wurde: die Übungsfläche wurde in lauter gleich große Quadrate aufgeteilt, die nur mit Farbe zu füllen waren. Keine Überlegungen wurden also an die Form verschwendet, alle Aufmerksamkeit galt der Farbe.
Aber zwei Fragen ließen sich nicht abweisen. 1. Waren nicht Quadrate auch Formen? Und 2. Bildeten sich durch ihre bloße Farbgebung nicht auch wiederum Formen? Meine rebellische Antwort auf beide Fragen lautete: Form und Farbe sind eins – sie lassen sich nicht trennen. Aber sind sie wirklich nur eins, lautet meine Frage heute, und ich bin Itten dankbar, dass seine Kästchenmethode mir alle drei Fragen stellte. Sie forderten mich heraus, Antwort zu geben, eine Antwort, die beiden Aspekten gerecht wird, der Einheit von Farbe und Form und ihrer Unabhängigkeit von einander. Ja, ja, kein Unsinn, das scheinbar Widersprüchliche geht zusammen.

Die 16 Bilder BB13-28 zeigen es. Unschwer wird der Betrachter feststellen können, dass es sich immer wieder um die gleiche Komposition handelt, nur in anderer farbiger Fassung. Anstelle von Ittens gleichen Kästchen sind komplexe Farbformen getreten, die jedoch ein festes Ordnungsgefüge bilden, dem sich die Farben in den verschiedenen Bildern eingliedern.
Der Aufbau der Form ist einerseits durch Farbe bestimmt – beide werden in der Komposition eins. Andererseits erweist sich Farbe als eigene Qualität, die der Form etwas beifügt, was in ihr als solcher noch nicht enthalten ist. Farbe stiftet also die farbformale Einheit, transzendiert sie aber auch. Form wiederum erweist sich als farbig bestimmt, aber nicht festgelegt auf eine Farbigkeit.

Der Aufbau der Komposition weicht nur unwesentlich von dem der schon besprochenen Bilder ab: das Format ist verändert, aber die dreidimensionalen Bewegungsschemata in den Diagonalen und der Vertikalen bleiben erhalten; einschneidend ist nur die waagerechte Aufteilung verändert: erste, dritte und fünfte Farbzone sind in einheitlicher Ausrichtung der dimensionalen Bewegungen in einem der Würfelräume gestaltet, in zweiter und vierter dreht sich ihre Ausrichtung nach verschiedenen Seiten je 120° um die Neutralachse des gleichen Würfels. Zu den Kontrastdreiklängen der dreidimensionalen Gliederung tritt also ein kadenzierender weiterer Dreiklang, der durch Drehung aller Farben in 120°-Schritten hervorgerufen wird.
Diese Änderungen führen zu völlig anderer Erscheinung. Die Komposition zeigt sich sehr klar strukturiert. Es bilden sich größerflächige Zusammenhänge. Trotz starker Kontraste halten die Farbformen fest zusammen.
In BB13 mit leuchtendem Gelb, kräftigen Rot und Grün, hauchzarten Lichtstrahlen, dunkel durchsichtigen Streifen, die sich zu Schleiern verfeinern, weicher Schattenlinie, ergibt sich eine heiter strahlende Farbenfreudigkeit, die durch knappe Verwendung ernsterer, fast düsterer Töne nur noch gesteigert wird.
Ganz anders der Ausdruck im Gegenüber BB14. Aus dem sonnigen Gelb von BB13 ist ein schweißig schweres Ockergelb geworden, von melancholisch finsteren Bahnen gequert, das durchlichtete Grün wird dunkler und kälter, erregt mit dem säuerlich darüber streichenden Violettrosa schmerzliche Empfindungen. Anstelle der dunklen Streifen sind nächtlich phosphorisierende getreten und versöhnlich, Hoffnung stiftend, erscheinen nur die weichen, waagerechten Lichtstreifen. Aber etwas drückend Schwermütiges dämpft alle aufkommende Lebenskraft.
Bei aller Verschiedenheit des Ausdrucks springt doch auch eine farbige Verwandtschaft der Bildpartner ins Auge. Sie rührt von einer Symmetrie her, die in der Relation der verwendeten Farben gegeben ist. Während das linke Bild mit Farben des ersten Würfels gestaltet ist, verwendet das rechte die des zweiten, und zwar so, dass sie sich von Würfel zu Würfel vertikal (also senkrecht zur gemeinsamen Neutralachse) oben-unten spiegeln. Was sich in BB13 hell abhebt, erscheint in BB14 dunkel abgehoben, umgekehrt das Dunkle hell. Insgesamt erfolgt eine Verlagerung von Hell nach Dunkel. Die farbigen Tönungen sind ähnlich, aber durch ihre Verkehrung in ihrer relativen Helligkeit wirken sie drastisch verändert.

Von Dur und Moll war schon die Rede. Ich denke, dass die Unterschiede der beiden Bilder mit den beiden Begriffen durchaus treffend charakterisiert sind. Aber ist das vielleicht nicht einfach durch die unterschiedlichen Helligkeiten verursacht und liegt gar nicht an der Verwendung der unterschiedlichen Würfelräume?
Im nächsten Bildpaar herrscht die gleiche systematische Beziehung zwischen linkem und rechtem Bild, aber jetzt ist das linke sehr dunkel, das rechte sehr hell. In fast schneidender Härte hebt sich links das Grün ab. Das Dunkel wirkt nicht verdüstert, sondern kraftvoll und die Kontraste mit Rot und Weiß verstärkend. Das Bild hat etwas Festliches, dem Positiven Zugewandtes, Extrovertiertes, überhaupt nichts Depressives wie BB14. An dessen Dunkelheit kann es also nicht liegen, dass es so bedrückt wirkt.
Und das helle Pendant (BB16)? Sein Weiß wirkt sanft, sein Grün-Rot lau. Weichheit ist anstelle von Härte getreten. Das Bild hat etwas Anschmiegsames, seine Lichtheit ist nicht freudestrahlend wie die von BB13, sondern eher zurückhaltend, freundlich lächelnd, aber nicht lachend. Sein Liebreiz ist still in sich gekehrt, neigt zum Understatement, gewinnend, aber nicht powernd.
Wieder also Eigenschaften von Dur und Moll. Es wird langsam spannend, denn alle Bildpaare der Reihe sind in der gleichen gegenseitigen Relation konstruiert.
Relativ zum eben betrachteten Paar ist das nächste mit Farben gestaltet, die waagerecht bezüglich der Neutralachse zu seinen gespiegelt liegen, d.h. nun gehören die hellen Farben dem ersten, die dunklen dem zweiten Würfel an. Anstelle von Grün ist Rot getreten, anstelle von Orangerot Türkis, von Blauviolett Gelb. Wie anders wirkt nun das ähnlich helle Weiß wie in BB16! Im Kontrast zum triumphalen Rot gewinnt es morgendliche Frische. Das Dunkel in BB18 dagegen hat etwas Unheimliches, das mit dem kalten Rot geradezu Unheil verheißend erscheint. Aufkommende Verzweiflung können auch die durchbrechenden Lichtstreifen nicht stillen.
Nichts davon im Gegenbild. Kraft strotzend, selbstgewiss, gegen Mitleid resistent, setzen sich die Farben in fest gefügten Formationen gegen Tod und Teufel durch, komme was da wolle.

Eher in der Helligkeit angenähert erscheint das nächste Bildpaar. Dem satten, volltönenden Klang des linken Bildes, dem etwas prunkvoll Mächtiges eignet, können keine Schatten, Beschwernisse, die gar nicht verleugnet werden, etwas anhaben. Der Sieg ist vorgezeichnet.
Das Nebenbild ruht in sich, hat etwas Inniges, nicht gerade Müdes, aber auch nichts Weckendes, wirkt mehr wie Abschied, wie ein Abendlied – etwas wehmütig-schön.
Auch in der Musik gibt es eine große Bandbreite von Moll, nicht nur den Ausdruck schicksalsschwerer Tragik, sondern auch schmeichelnd weiblicher Weichheit, von dunklem Brüten ebenso wie von schicksalsergebener Gelöstheit.
Und auch da sind es nicht Einzeltöne, sondern Relationen von Einzeltönen, eigentlich kleine Verschiebungen, die den Charakter von Dur und Moll in immer wieder abgewandelter Weise bedingen.

Worin unterscheiden sich eigentlich die Relationen der beiden Würfelräume?
Im ersten Würfel geschieht die Koordination der Eckfarben gemäß ihrer Eigenhelligkeit: die von Natur hellen Farben rücken in die Nähe des Weiß, die dunklen Richtung Schwarz und die mittleren entfalten ihre volle Kraft in der Mitte.
Im zweiten Würfel dagegen nähert sich das dunkle Blauviolett in Aufhellung dem Weiß, erniedrigt sich das helle Gelb durch Abdunkelung in Richtung Schwarz . Die Auswahl der Eckfarben erfolgt also in der Gelb-Nachblau-Richtung entgegen der Eigenhelligkeit der Farben. Aber auch die Nachbarn der dem Weiß und dem Schwarz nahen Gelb-/Nachtblau-Farben ändern sich. Während im ersten Würfel dem hellen Gelb aufgehelltes, kühles Magenta und weißlich kaltes Cyan beigeordnet sind, dem dunklen Blauviolett aber tiefes, volles Gelbgrün und ebenso sattes Gelbrot, treten dem hellen Nachtblau durch Helligkeit geschwächtes, warmes Gelbrot und Gelbgrün zur Seite, dem dunklen Gelb dunkel-satte, harte, bläuliche Türkis- und Magentatöne.
Alle Relationen ändern sich bezüglich der Lage der Farben zwischen den Schwarz- und Weiß-Polen und ihrer Verwandtschaft mit ihnen. Kein Wunder also, dass sich das an den Bildern zeigt, die sich aus diesen Relationen ableiten.

Unbeschwert kraftvoll in fast banaler Klarheit und Selbstverständlichkeit zelebriert BB21 wieder farbenfrohe Lebensbejahung, während das Nebenbild vergrübelt schwermütig sich in Selbstzweifel, Trauer, Selbstmitleid verliert. Der wohl geordneten Geradheit, aufrichtenden Reinheit, der wachen Präsenz des linken Bildes steht im rechten skrupulöse Verfangenheit in auswegloser Mühsal verfeinerter Empfindsamkeit gegenüber.

Aber nicht nur gegensätzlich, auch einander ergänzend und in der Wirkung gegenseitig verstärkend können die Bildpartner sich zu einander verhalten, wie man es im folgenden Paar (BB23,24) in allen Einzelheiten erleben kann. Einer gewissen Derbheit in der Gesamtwirkung steht feine Differenziertheit zur Seite, lauter Helligkeit im Gelb abwiegelnde Dunkelheit, ätherischem Blau Verfestigung, drallem Grün vornehm zurückhaltendes, powerndem Rot sanfte Wärme, munterer Buntheit disziplinierte Strenge. Man decke einen Partner ab und betrachte ein Bild für sich – es wird an Lebendigkeit und Überzeugungskraft seiner Eigenart merklich verlieren. Nicht nur im Menschlichen, auch in der Farbform beruht alles auf Beziehung, auf Rücksicht und Eingehen auf einander.

Wie Bruder und Schwester ähneln und unterscheiden sich BB25 und BB26. Die Verwandtschaft in der Farbigkeit zeigt sich deutlich. Erst auf den zweiten Blick bemerken wir die Umkehrungen in den Helligkeiten. Männlich Mächtigem steht weiblich Zartem geschwisterlich zur Seite. Schon am Gewicht zeigen sich Unterschiede, am ganzen Wuchs – alles im rechten Bild wirkt weicher, weniger starr, feiner.

Die Dominanzfarben in den letzten beiden Bildern dieser Reihe – Lila, Rot und Kaltgrün – sind so verwandt, dass sie den Ausdruck der Bilder stärker prägen als die Unterschiede. Aber auch hier gibt es sie.
Fast trotzig obszön erscheint in BB27 die Härte, die ins Sadistische, Schmerzen Zufügende drängt.
Die Kaltblütigkeit des rechten Bildes richtet sich eher masochistisch nach innen in wollüstiger Selbstverletzung.
Beiden Bildern eignet etwas Böses, aufreizend im einen, abschreckend im anderen.

Am Ende müssen wir doch staunen, was ein steriles mathematisch präzises farbformales Schema (das hier ja nur in einigen der unzählig möglichen Varianten konkretisiert werden konnte) alles an Ausdrucksmöglichkeiten herzugeben vermochte.
Aber sind nicht auch die systematischen Grundlagen für Dur und Moll in der Musik überaus einfach und präzise? Wie nur konnten sie zu solchem Reichtum führen, wie wir ihn von der Klassik bis in die Spätromantik erleben und der sich auch bis heute nicht erschöpft hat?
Das Erzeugen von Gefühlsregungen in der Musik geschieht viel direkter, fährt uns buchstäblich in die Glieder im Tanz, geht zu Herzen, weckt unsere Emotionen aktiv durch ihr Lautwerden, dem wir antworten mit innerer Erregung.
Farben aufzunehmen vermögen wir nur durch eigene Aktivität. Sie treten uns still und unaufdringlich gegenüber. Nicht sie dringen auf uns ein wie die Töne, sondern wir dringen in sie ein, kraft der Natur unseres Sehens, die uns ermöglicht, „unser Auge auf sie zu werfen“, auf das sie uns Antwort geben.



Dynamik – Statik

Das momentan Erklingende kann man in seinem Frequenzspektrum und dessen Lautstärke zusammenfassen. Dazu kommt die Abwandlung in der Zeit. Das führt zu zweidimensionaler, vertikal-horizontal strukturierter Notierung von Musik.
Im Bild fällt die Dimension zeitlichen Wandels weg, sofern wir nicht zum Film übergehen. Und doch sind die Verhältnisse extrem verwickelter. Zwar kann man anhand des Computers die Monitor-Bildfläche aus Zeilen von Pixeln aufbauen, die an einander gehängt werden und jeweils mit Farben einer Reihe von 256x256x256, d.h. über 16 Millionen Nuancen gefüllt werden, also ebenfalls in zwei Dimensionen. Aber damit ist die visuelle Gestalt des Bildes nur festgelegt, noch nicht in ihrer Erscheinung erfasst. Das Auge liest die Pixel nicht in Zeilen ab und erkennt nicht ihre Farbzahl. Die Bildfläche kann man zwar zweidimensional begrenzen, aber innerhalb dieser Grenzen bildet sie ein homogenes Kontinuum, das allseitig in jeder Richtung begehbar ist, d.h. visuell keine irgendwie festgelegten Dimensionen enthält, vielmehr polydimensional wahrgenommen wird.
Mit den Farben wird es noch komplizierter. Wie schon erörtert, bilden sie, in ihrer Verwandtschaft nach Kontrast und Ausrichtung einander zugeordnet, ein homogenes Kontinuum, das ebenfalls polydimensional, diesmal sogar räumlich strukturierbar ist.
Man wird fragen, ob visuelle Gestalt angesichts dieser Realitäten überhaupt beschreibbar sein kann, ob nicht das Bild selber die einzige Schrift ist, die über visuelle Gestalt Auskunft gibt. Damit würde man aber der Erkennbarkeit und Beschreibbarkeit bestimmter Phänomene in Schemen, wie wir sie schon kennen gelernt haben, nicht gerecht werden und überhaupt einer geistigen Durchdringung visueller Wirklichkeit aus dem Wege gehen.

Was sich in der Musik an Dynamik in der Zeit ereignet, kann im Bild durch farbige Bewegtheit auf der Fläche repräsentiert werden, aber aufgrund der Polydimensionalität der Fläche nicht nur in einer Richtung, sondern in mehrfacher, verknüpft mit dimensionalen Bewegtheiten in der Farbigkeit, wie wir sahen. Für sie standen 3 Dimensionen zur Verfügung, die zudem anhand eines Wechsels zwischen den beiden Würfelsystemen abgewandelt werden konnten.
In den 32 Bildern BB29-60 wird dieser Wechsel nun so vollzogen, dass sich die Ausrichtung der dimensionalen Farbbewegungen um jeweils 60° um die Helligkeitsachse weiterdreht. Zu dieser kreisförmigen Bewegung wurde die Fläche in 7 senkrechte Zonen geteilt, die jeweils nach einer Seite hin schmaler werden.
So kommt zu den Bewegungsformen in den drei Farbdimensionen noch eine vierte, in der sie als gestaltliche Einheit farbig variiert werden.
Die vier Bewegungsformen werden simultan als farbformale Struktur der Bildfläche wahrgenommen. Sie klingen akkordisch und in Kadenzen zusammen in einem dynamischen Spiel, das sich nicht verändert, sondern statisch in Dauer erlebt wird, wobei wir beim Betrachten selbsttätig nach und nach die Bewegungsformen in ihren farbigen Mutationen erkunden: Wir entdecken die vielfältigen Relationen von Kontrasten und Ähnlichkeiten und erspüren zugleich ihren großen inneren Zusammenhang. Das Statische wird durch Dynamik bedingt. Die Dynamik wiederum wird in dauernder statischer Spannung erlebt. Wir wechseln immer wieder von Details zu Verbundenem, bewegen das Auge mit oder gegen Bewegungen, vereinen, trennen, sehen aufs Ganze – es zerteilt sich in Formen, Farben, Licht, Dichte, wird zu Raum, körperhaften Gebilden, Leuchtendem, durchsichtig, ätherisch, füllig – es dauert lange, bis wir alles kennen, bis es zusammenschießt zu einer Einheit, in der die Vielfalt aufgehoben ist. Man möchte sie festhalten, aber sie entzieht sich, gestört, zerfällt in energetische Felder, Gerüstbauten, Konstituentien eines mystisch anmutenden Raumes in Fülle, nicht leer wie der Weltraum, abgeschieden von den Dingen, sondern voll Materie und Energie, lebendigen Sein – es gibt kein Nichts, nur etwas, nein viel und es ist doch Eines.

Alle Bewegungen der Bilder vollziehen sich in Beschleunigungen und Verlangsamungen, enthalten also Einseitigkeiten der Gewichtung zwischen den kontrastierenden Polen. Kehrt man die Polung der Farben in einer, zwei oder drei Dimensionen um, so entstehen jeweils andere Bilder. Wie wir gesehen haben, gibt es schon allein aufgrund dessen 96 farbige Varianten für ein dreidimensionales Schema. Da nun aber noch die Bewegtheit in der vierten Richtung dazu kommt, die an 6 verschiedenen Stellen des Farbkreises einsetzen kann und in der einen oder entgegengesetzten Richtung des Farbkreises erfolgen kann, ergibt sich noch mal eine Vervielfachung dieser Möglichkeiten. Die 32 Varianten der Bildreihe stellen also nur eine kleine Auswahl davon vor.
Dennoch hat man den Eindruck großer Ähnlichkeiten zwischen den Bildern. Im Einzelnen steckt so viel von den farbigen Möglichkeiten, dass gar nicht eine überaus große Anzahl von Bildern notwendig ist, um eine Vorstellung von den möglichen Abweichungen zu gewinnen.
Was den Wahrnehmungsakt angeht, ergibt sich über das Einzelbild hinaus jeweils das vergleichende Hin und Her zwischen linkem und rechtem Bild. Diese Beziehung ist in den 12 Bildern BB33-44 komplementär gehalten, d.h. dass sich alle Farbrichtungen in den dreidimensional bewegten Zonen umkehren und die Farbkreisbewegungen in den Abschnitten nach rechts zu jeweils um 180° verschoben beginnen.
Dabei haben immer im einen Bild die hellen Farben in ein, zwei oder drei Dimensionen die kleinere Flächenausdehnung. Das ergibt insgesamt verschiedene Grundtöne der Bilder. Das Einsetzen im Farbkreis an verschiedenen Stellen bewirkt größere, bzw. kleinere Ausdehnungen wechselnder Farbkreishälften.
Aus diesen Variablen ergeben sich stereotype Abwandlungen der Erscheinungen in der formalen und farbigen Variation.

Betrachten wir etwa die Bilder BB31,40,50 und 51, so haben wir Mühe, ihre Unterschiede auszumachen. Immer erscheinen kräftigere Farben in den schmalen Formationen, die unterschiedlich stark aus zartfarbig hellem Umraum hervortreten, am wenigsten die schmalen, weichen Farblinien in der Waagerechten und nach links steigenden Diagonale – sehr viel gewichtiger heben sich die breiteren, ebenfalls weich begrenzten Streifen in der anderen Diagonale ab und am kräftigsten arbeiten sich die mittleren Diagonalstreifen mit harten Grenzen in den Vordergrund, aber in durch Dunkelheit gebrochener Farbigkeit, wie aus durchscheinendem Material gebildet, begleitet von parallelen Abschwächungen, die sich zu transparenten Schleiern verfeinern und wieder in den hintergründig lichten Raum zurückführen.
Während in BB31,40 die senkrechten Zonen nach rechts hin schmaler werden, tun sie dies in BB50,51 nach links zu, verbunden mit einem Richtungswechsel bezüglich ihrer Farbkreisbewegung. So ergibt sich entweder ein schnellerer Farbwechsel, eine Steigerung der Buntheit gegen den rechten Rand, die durch räumlich nach hinten ziehende Perspektive in Schranken gehalten wird, oder eine Beruhigung des Farbwechsels in vordergründiger Breite, was zu gegensätzlicher Harmonie führt.
Im Ganzen hat man jedoch den Eindruck, dass alle vier Bilder in den gleichen Farben und Formen gestaltet sind, wobei nur die Verteilung der Farben in, zufällig wirkend, anderem Wechsel erfolgt, der erstaunlicher Weise aber immer zur gleichen formalen Struktur führt.

Ähnlich ist es auch bei den 4 Bildern BB33,36,46 und 49. Aber in ihnen hat sich in vertikaler Richtung des Bildes die dimensionale Farbrichtung umgekehrt, so dass die waagerechten Linien sich in feinen Tönungen wie Lichtstreifen vom Hintergrund abheben, der nun in durchlichteter Farbigkeit erscheint. Ihm gegenüber wirken die diagonalen Streifen weniger farbig als in den vorigen Bildern.
Eigenartig wirkt die diffuse Räumlichkeit des Hintergrundes der vorigen Bilder nun ins flächige Nebeneinander von senkrechten Farbbahnen verwandelt, die wie durchscheinende Glasscheiben leuchten. (Man kann dies im Gegenüber von BB49 und 50 gut beobachten).
In den Paaren BB33 – BB36 und BB46 – BB49 erscheinen diese komplementärfarben, während sich jeweils die diagonalen Streifen in ihrer Farbigkeit stark ähneln.

In den Bildern BB41,43,56 und 59 werden statt der waagerechten Linien die nach links steigenden diagonalen Streifen hell. Das führt zu ähnlicher Glasfensterwirkung der Hintergrundfarben, die aber nun noch voller erscheinen. Während sich diagonale Lichtlinie wie auch dunkle waagerechte Farblinien in ihre Ebene einbetten, treten die breiteren hellen diagonalen Streifen nach der Mitte zu aus ihr stufenförmig hervor. Der mittlere wirkt wie ein durchscheinend milchiges Kunststoffband, in dem sich die querenden Farben irisierend brechen.

Die dritte Möglichkeit von Umkehrfarbigkeit in einer Farbdimension wird in den Bildern BB32,38,45 und 55 vorgestellt.
Die etwas breiteren Streifen in der nach rechts aufsteigenden Diagonale erscheinen nun in weicher Weißlichkeit, die sich stark vom farbigen Hintergrund abhebt, aber durch die dunkel querenden Streifen wie mit Gewalt zurück gehalten scheint.
Auch in diesen Bildern wirken die senkrechten Bahnen von einheitlicher Hintergrundfarbe durchdrungen, aber weder durchlichtet noch besonders voll. Die sie kreuzenden, durch Helligkeit, Dunkelheit oder Farbe abgehobenen Streifen können farbig mit ihnen konkurrieren, wenn auch nicht mit ihrer Buntheit.

In den Varianten von BB34,35,53 und 57 heben sich beide schmale Diagonalstreifen hell ab, nur die waagerechten dunkel.
So reicht ihre Skala von sehr hellen, zarten Tönen über kräftigere und vollfabige zu gewichtig dunklen, satten. Eine wohlgeordnete, fast überreiche Farbigkeit von eminent fein nuancierter Vielfalt, in der doch kein Detail der Form noch der Farbe verloren geht, verbreitet eine schwelgerisch lebensfrohe Opulenz, die angesichts der mathematisch streng durchkonstruierten Komposition etwas Hinreißendes hat.

Wo sich in BB42,44,54 und 58 nur noch die schmalen, diagonal nach links steigenden Streifen dunkel abheben, scheinen sie sich von sanfter Zurückhaltung in der Schattenlinie über vermittelnde Verschleierung bis zu derb anmutender Körperlichkeit zu verfestigen, die allen Liebreiz farbiger Lichter in den Waagerechten, alle farbige Kraft in den breiten Zonen, sie durchkreuzend, ausstreicht und sich nur den dunkleren, schwereren annähert.

Noch dunkler, lastender, stemmen sich die etwas breiteren dunklen Streifen von BB30,37,48 und 52 gegen die lichten in den beiden anderen Richtungen, ohne aber ganz gegen sie anzukommen. Sie bilden mit ihnen eher ein gitterartiges Geflecht, das die irdisch festgefügte, starke Farbigkeit des Hintergrundes mit dunklen Balken und farbigem Leuchten, vom Materiellen bis zum Ätherischen gehend, überspielt.

Bleiben nur noch vier Varianten, in denen alle schmalen Formationen sich hell leuchtend in heftiger Buntheit aus wesenloser Dunkelheit vordrängen ( BB29, 39, 47 und 60).
Nirgendwo in den bisherigen Bildern waren die Farbwechsel in den Lichtstreifen so deutlich, geradezu aufdringlich grell.
Auch hier ist die, sich in allen 32 Varianten zeigende, formale Struktur gut erkennbar, erscheint aber in der knalligen Buntheit eines nächtlichen Feuerwerks – ohne dessen Verglühen und Versinken in Qualm – sich nur immerfort in der Betrachtung energetisch steigernd.

Dynamik schien sich zunächst in der formalen Struktur zu manifestieren, scheint sich nun aber viel mehr in den farbigen Wandlungen der immer gleich bleibenden Statik der Form entfaltet zu haben. Wie könnte sie das aber ohne statisches Widerlager?
So sind beide Aspekte in den Bildern aufs Engste mit einander verquickt, enthüllen zusammen etwas vom Geheimnis der Form wie auch der Farbe.



Harmonie

Die Bedeutung von Harmonie wird im Lexikon mit Übereinstimmung, Eintracht, Einklang, aber auch Ausgewogenheit, maßvollem Verhältnis erklärt. Ostwald hat sie schlicht mit Ordnung gleich gesetzt. Dass es offenbar unter den Farben gesetzmäßige Zusammenhänge gibt, etwa Farben gleicher Fülle, gleichen Schwarz- oder Weißgehaltes, gleicher Klarheit, gleichen Tones, zeigte ihm an, dass sie in bestimmter Beziehung zusammenpassen, d.h. harmonieren.
Klee, der nicht nur malte, sondern auch ausgezeichnet Geige spielte, der nach Urteil von Fachleuten auch ebenso gut hätte Musiker werden können, hat sich über diese simplifizierte Vorstellung von Harmonie lustig gemacht und urteilte bissig vernichtend: gleich zu gleich sei gleich fad.
Die musikalische Harmonielehre hat es denn auch immer nicht nur mit der Vereinigung von Tönen, Klangfarben, Rhythmen zu tun, sondern ebenso mit deren Auseinandertreten. Ohne Disharmonie, ohne den Gegensatz zum Zusammenklang verliert sie ihren Biss.
Auch die klassizistische Wohlproportioniertheit in eitel Ebenmaß von Ausgewogenheiten kann sehr leicht langweilen.
So suchte Klee gezielt, immer ein wenig vom Gleichgewicht abzuweichen, um ja die Spannung im Bild aufrecht zu erhalten. Gerade die Suche nach dem Paradies, nicht das Paradies aller erfüllten Wünsche selbst, entspricht unserem visuellen Bedürfnis. Soll der Betrachtungsakt so aufrecht erhalten werden, dass man vom Bild nur schwer loskommt, dürfen unserem Auge keine billigen Hübschheiten, gefällige Schmankerl serviert werden. Die Streitkultur zwischen den Gegensätzen muss sich in aller Wahrhaftigkeit entfalten können; nur so kann das Bild leben.
Das soll freilich nicht heißen, dass Gegensätze alles seien, aber nur wenn sie offen auf den Tisch kommen, können sie in Zusammenhang gebracht, in Harmonie aufgelöst werden. Harmonie kann also, wie wir Menschen, nur auf zwei Beinen stehen und gehen, dem des Aufbaus von Gegensätzen und dem ihrer Vereinigung.
Zu den zentralen harmonischen Praktiken in der Musik gehören deshalb die „Kadenzen“, die von Klängen zu Klängen führen, in denen es einerseits „liegen bleibende“ Töne gibt, andererseits aber auch auseinander gehenden Wechsel zu neuen Tönen, so dass die Relationen, in denen die liegen bleibenden erscheinen, sich verändern, die veränderten Töne zu liegen bleibenden werden, mit neuen in Relation treten, usw..
Das Prinzip von Verwandtschaft und zugleich Unterschiedenheit begegnet uns nicht nur überall in der Natur, sondern prägt auch unser erkennendes Urteilen. Nur in den Verhältnissen zwischen Gleichem und Ungleichem können wir wahrnehmen und verstehen.

Dem Aufbau von Klängen, Akkorden ist die dreidimensionale farbige Differenzierung vergleichbar, wie wir gesehen haben. Ein Gefüge fester Relationen von Farben entsteht, ein „Zusammenklang“, in dem unterschiedliche Gegensätze vereint erscheinen.
Von anderer Art ist die Abwandlung in der vierten (waagerechten) Richtung. Sie geschieht in der Art der Kadenzen so, dass die Form „liegen bleibt“, die Farben aber abgewandelt werden, und zwar nicht beliebig, sondern so, dass ihre farbörtlichen Relationen im Farbraum erhalten bleiben.
Störung und Abbruch der Farbklänge sind auch in den 16 Bildern BB61-76 verbunden mit ihrer Auferstehung in anderem Milieu, in völlig neuem farbigem Gewand. Ähnlich wie in den Bildern BB13-28 ändern sich die Ausrichtungen der dimensionalen Bewegungen in 120°-Winkeln. Diesmal aber in einem Wechsel, bei dem nicht nur die Kontinuität einer hintergründigen Klangsituation durch 2 farbige Abwandlungen unterbrochen wird, sondern auch ein neuer Klang nach Unterbrechungen wiederkehrt und ein anderer zum Hintergrund für ihn wird, so dass es zwei verschiedene Hintergründe und 2 mal 3 mit einander korrespondierende Zonen senkrechter Klangeinheiten gibt. Sie sind in ihrer jeweiligen Breite so mit einander austariert, dass sie in lebendigem Wandel, wie auch in Abstimmung auf einander erscheinen, alle Elemente in ihren Verhältnissen von Ähnlichkeit und Verschiedenheit gut erkennbar sind und eine Harmonie bilden, in der es vielerlei Gegensätze, aber nirgendwo ein völliges Abreißen des Verbindenden gibt.
Die Bilder sind wieder mit Farben jeweils eines Würfels gestaltet, BB61,62,65-68 und 73,74 mit denen des zweiten (in Moll), BB63,64,69-72 und 75,76 mit denen des ersten (in Dur). Gegenüber liegende sind komplementär gehalten, so dass sie sich in der Wirkung gegenseitig verstärken. Obwohl sie mit den gleichen Farben gestaltet sind, erscheinen diese in so anderen Proportionen, dass jeweils andere Töne das Ganze bestimmen und der Eindruck entsteht, als sei die Komposition komplett mit anderen Farben verknüpft worden.

Man kann aber auch jedes Bild für sich anschauen und wird seine Eigenart jeweils als etwas Besonderes empfinden. Es ist schwierig es zu benennen. Jeder wird auf seine Weise darauf reagieren. Ich will dennoch versuchen, einen Titel für jedes Bild der Reihe zu finden, nur um darzulegen, dass bei aller „Gegenstandslosigkeit“ keines von ihnen inhaltsleer ist.
BB61: Der „Ich-bin-da“-Chor
BB62: Dahinter, davor, dazwischen
BB63: Rot-Gelb-Blau-Grün-Synthese
BB64: Verknotet
BB65: Preis dem sanften Gesetz!
BB66: Ein Recht für beides, Lautes und Leises
BB67: Mit Rücksicht auf Rot und Weiß
BB68: Farbe-Licht-Spiel
BB69: Geraden in Aktion
BB70: Aus Helle kommend
BB71: Bremst das Hellgrün!
BB72: Durchscheinen – Überscheinen
BB73: Ein Hauch von Beginnen
BB74: Ermüden
BB75: Frischauf!
BB76: Von Leben und Wärme umfangenes Blau


Der gegenseitige Dienst von Form und Farbe an einander

Die Fülle der Farbe könne nur in der Fülle der Form erreicht werden, war die Überzeugung von Paul Cézanne. In diesem Sinne sind die Bilder BB77-88 ärmer. Sie beschränken sich auf 3-dimensionale Differenzierung. Aber sie zeigen schön die Auswirkung einer Veränderung im formalen Schema auf die Gesamterscheinung wie auch auf Details in der Farbigkeit.
In zwei Richtungen der Bildfläche sind die dimensionalen Farbbewegungen anders strukturiert, in der nach rechts aufsteigenden Diagonale und in der Senkrechten.
Anstelle der weich abgehobenen Diagonalstreifen, die als Helligkeiten, in unterschiedlichem Grad von Buntheit eingefärbt, eine diffuse Räumlichkeit von immaterieller, ätherischer Wirkung hatten und als Dunkelheit dichte Fülle und Schwere erlangten, ist eine Gliederung getreten, die derjenigen in der anderen Diagonalrichtung ähnelt und doch eigenartig von ihr abweicht.
Während sich die Licht-/Schatten-Linien gleichen, sind die etwas breiteren Streifen von unterschiedlicher Wirkung; die einen ziehen sich wie farbige Bänder durchs Bild, die anderen in substanzloser Reliefierung, die von den Grenzen her beleuchtet oder zu ihnen hin verschattet von Farben sind, die umgekehrt die Hintergrundtöne aufnehmen. Die einen heben sich also von den Hintergründen farbig ab, während die anderen deren Farbigkeit in sich vermitteln.
Schaut man genauer hin, wird man den Grund dafür finden: Die nach links aufsteigenden, mittleren Diagonalstreifen (in BB77) stoßen nach unten zu mit den hellsten Stufen in starkem Kontrast an den dunklen Umraum – nach oben hin werden ihre Stufen breiter und dunkler, stoßen aber am Rand mit noch viel dunkleren zusammen, die dann in hellere übergehen und an die hellsten des nächsten schmalen Bandes grenzen. An beiden Grenzen der breiten Zwischenzone begegnen sich also Farbbewegungen, die auf einander zugehen, so dass ihr Helligkeitskontrast abgemildert wird und sie sich als Farben begegnen.
In der anderen Diagonale scheinen die Verhältnisse auf den ersten Blick einfach umgekehrt: Unterhalb der dunklen Schattenlinie stößt die schmale Zone, die dem mittleren diagonalen Farbband entspricht, dunkel an helleren Umraum, wird nach unten zu in breiteren Stufen heller, trifft nun aber nicht auf noch viel hellere Farben in der ersten breiten Zone, wie zu erwarten wäre, sondern auf dunklere, die auch noch nach unten zu wieder heller werden, so dass sich nun zwei Farbbewegungen an der Grenze begegnen, die sich in umgekehrter Richtung in der Helligkeit von einander abstoßen, so dass sich der helle Rand des schmalen Streifens mit der oberen, der dunkle mit der unteren Umfeldzone verbindet. Während sich die Gründe quer zur nach links steigenden Diagonalformation übers ganze Bild zu ziehen scheint, kontrastieren in der anderen Richtung hellere mit dunkleren Zonen, die in den schmalen Streifen vermittelt werden.
Die formale Struktur entlockt der Farbe ihre verschiedenen Gesichter – Lichthaftigkeit, reliefartiges Volumen, Materialität, Dichte, Schwere – die Farbe wiederum füllt die Form mit lebendiger Vielfalt und löst ihre Starre in Fühlbarkeit auf. Kühler Distanziertheit in etwas steifer Strenge von BB77 steht in BB78 durchwärmte Nächtlichkeit gegenüber, schmerzvollem Bluten von BB79 milde Lindigkeit in BB80, gefährlich leuchtendem Grün von BB81 stemmt sich aufragendes Gold in BB82 der Trübsal entgegen.
Die Verknüpfung von Farbe und Form ist so eng, dass bezüglich der Änderung in der senkrechten dimensionalen Farbbewegung in der neuen Bilderreihe gegenüber derjenigen in den vorigen Sequenzen gar nicht recht zu entscheiden ist, ob es sich nun um eine bloß farbige, oder auch eine formale Änderung handelt.
Auch in den früheren Bildern gab es so etwas wie eine Horizontlinie mit farbigem Bruch zwischen Oben und Unten und je 3 Licht-, bzw. Schattenlinien in breiter werdenden Abständen zu den Rändern hin, nur dass jetzt zwischen oberer und unterer Zone die Relation von Hintergrund- und Linienfarbigkeit vertauscht ist, die Linienfarbe zur Untergrund- die Untergrund- zur Linienfarbe wird. Die „Farbform“ ist also einschneidend verändert.
Die Oben-Unten-Beziehung der Komposition erscheint dynamisiert. Der Umschlag in der Figur-Grund-Beziehung führt zu einer Entwicklung zwischen verschiedenen Seinsformen der Farbe, aber auch einer Bewegung zwischen, in unterschiedlichem Maße vorherrschenden, Farben.
Obwohl alle Bilder der Reihe viele Nuancen enthalten, dominieren jeweils 3 Kontrastfarbenpaare, in BB83 und 84 Orangerot, Gelbgrün und Blauviolett gegen helle Farben, in BB85,86 Magenta, Cyan und Gelb gegen dunkle, was zu jeweils (mit den Farben des 2. Würfels gebildeten) Mollakkorden führt, während sich die Bilder BB87 und 88 in Magenta, Cyan und Gelb (mit Farben des 1. Würfels) gegen helle zu Dur-Akkorden fügen.

Je zwei, mit wechselnden Würfelfarben gebildete, gegeneinander in der Helligkeit gespiegelte Varianten wurden in BB89 und 90 in einander geschoben – ähnlich wie in den Bildern BB1-12, nun aber in anderem Format und mit den neuen dimensionalen Farbbewegungen. Es ergibt sich kreuz und quer eine geradezu gewaltsam anmutende Vergitterung aus organisch und anorganisch wirkenden Materialien, Raum aufbauend, aber auch verbauend, die etwas Erschreckendes hat und sich in anderer Farbgebung, aber ähnlich aussichtslos und zerrissen in den Bildern BB95,96 und 99,100 wiederholend einhämmert wie rhythmisches Schlagen in anhaltender Wut. Die farbige Abwandlung gibt der stereotypen Form tragischen Nachdruck, ja Unausweichlichkeit schicksalhafter Qual.

Ausgesprochen ruhig und friedlich erscheinen die Bilder BB91 und 92, in denen die neuen Bewegungsschemata mit farbkreislicher Kadenzierung in der Waagerechten verbunden ist, wie wir sie schon von früher her kennen. Vergleicht man die dunkelsten Fassungen der alten Varianten (etwa BB29 oder 60) mit den neuen, so erscheinen diese viel geschlossener – Dunkelheit geht über in Farbigkeit, Farblicht, lichte Farbe - das Grellbunte der alten Fassungen, das aus ihnen herausleuchtete, ist verschwunden und stiller Sammlung innerlicher Intensität gewichen.
Die beiden folgenden Bilder BB93 und 94 zeigen in der Helligkeit gleichwertige, aber gegensätzliche (im Farbkreis einander gegenüber liegende) Farben. Ihre senkrechten Zonen sind auf neue Weise proportioniert und mit jeweils 120° um die Neutralachse gedrehten Farben in den neuen dimensionalen Bewegtheiten gestaltet, das linke anhand des 2., das rechte des
1.Würfels, wobei diesmal die Differenz zwischen Moll und Dur weniger ins Auge springt.
Stärker wird sie wieder in BB97 zu BB98 spürbar. Das Bildpaar nimmt in der Waagerechten ein anderes, schon bekanntes Bewegungsschema (BB61-76) auf, im gegenseitigen Verhältnis das Farbschema der beiden vorigen Bilder. In großer Helligkeit sind die Farben beider Bilder reich nuanciert und wirken einander näher kommend als diejenigen der früheren Bilder.
Aus den neuen kompositorischen Verhältnissen dimensionaler Bewegtheiten ergeben sich offenbar neue Farben bei gleichen Paletten, weil sich die Gesamterscheinung durch abgewandelte Relationen in ihr verändert. Verbindende formale Elemente lassen die Farbkontraste näher zusammenrücken, so dass die Farben feiner differenziert wirken.

Noch mal eine andere Bewegungsform wird in den Bildern BB101-106 in die nach rechts steigende Diagonalformation eingeführt. In ihrer Mitte (BB101) grenzt sich eine breitere, aus bläulicher Helle von unten aufsteigende Zone in dunklem, gelblich schwerem Ton weich linear von einer schmaleren, ebenfalls bläulich dominierten ab, die von einem dunklen, weich abgehobenen Band in ähnlicher Farbigkeit, wie sie der lineare Rand der ersten hatte, abgelöst wird.
Die senkrechte Aufteilung und Farbgebung erfolgt wie bei den vorigen und früheren Bildern, wird aber zusätzlich mit Umkehrungen in den Helligkeiten der nach links steigenden Formationen in den 3 sich ähnlich von den beiden Gründen abhebenden Zonen verbunden, was zu deren Hervorhebung und ihrer Verklammerung mit den nach links steigenden schmalen Streifen führt. Die Änderung in der dimensionalen Bewegtheit, verknüpft mit der farbigen Variierung, führt zu ganz neuer Form und Farbigkeit, die im Nebenbild dadurch abgewandelt wird, dass sich die Farbrichtung in der neuen dimensionalen Bewegtheit umkehrt, nun also die breiten Zonen in gelblicher Dunkelheit erscheinen und die diagonale Linie sich wie das parallele Band bläulich licht abheben.
Wie stark sich andere Varianten in ähnlicher Systematik unterscheiden, können die folgenden 2 Bildpaare verdeutlichen. Besonders die Vertauschung von Dunkelgelb zu Hellblau (BB104) mit Hellgrün zu Dunkelrot (BB103) führt trotz formal ähnlicher Rhythmik in den dimensionalen Bewegungen zu sehr verschiedener Gestalt und farbigem Ausdruck. Die nach rechts steigende Diagonalformation gewinnt an Kraft, auch in BB105 und 106. Obwohl in ihr eine große Helldunkelspanne durchmessen wird, erscheint sie in ihren kräftigen Kontrasten flächig, was jeweils der Geschlossenheit des Bildganzen zugute kommt.
Die Einheit der Bilder in dreidimensionaler Bewegtheit (BB77-88) bestand darin, das sich die rhythmischen Gliederungen trotz ihrer gegenseitigen farbigen Modifikationen über die ganze Bildfläche hinweg formal in ähnlicher Weise erhielten. Die einzelnen farbigen Elemente konnten vor anderen zwar zurückweichen oder ihnen gegenüber vortreten, aber blieben doch als durchgängig erkennbar.
Diese Einheit wird in den, gewissermaßen aus verschiedenen, dreidimensional organisierten farbigen Varianten kollagierten Bildern zwar verlassen, andererseits aber auch aufgenommen, setzten sich doch die formalen Strukturen auch andersfarbig durchs ganze Bild gehend fort. Die Form gesteht sozusagen der Farbe ihr Eigenleben zu, bewahrt sie aber vor dem Auseinanderfallen in Zufallsbuntheit. Die Farbe wiederum bereichert die Form, indem sie nicht nur Mehrdimensionalität sichtbar macht, sondern sie auch noch in Abwandlungen aufhebend erhält.

Die Farben verbindende, wie auch scheidende Funktion der Form und die Form schaffende, aber auch Form durchbrechende Macht der Farbe wird in den symmetrischen Mustern, die aus den neuen dreidimensionalen Bewegungsformen gebildet wurden, erkennbar (BB107-112). Alle sechs Bilder bestehen aus unterschiedlichen Vierteln, die farbige Varianten des gleichen dreidimensional bewegten Schemas enthalten. Sie stehen aber zu einander nicht nur in deutlichem Kontrast, sondern auch mit einander in völliger farbformaler Verwandtschaft. Die Symmetrie der Bilder scheint farbig wie formal vollkommen.
Schaut man aber z.B. BB107 genauer an, so vereinigen sich in dem links/rechts gespiegelt erscheinenden, kräftigen Rot schwärzliche bis rosafarbene, blauviolette bis orangene Töne, also sehr weit aus einander strebende Farben. Auch in den, obere und untere Hälfte verbindenden Spiegelformen sind nicht nur die waagerechten Formationen farbig ausgetauscht, sondern auch in den farbig ähnlichen, bläulich/dunkelgelb bzw. hell/dunkel erscheinenden Diagonalen ganz verschiedene Farben enthalten. Was formal so fest zusammengehalten wird, besteht aus farbig ziemlich konträren Kräften – ätherisch durchsichtiger Schwerelosigkeit, schweißig klebrig Lastendem, lichthafter und materieller Energie, tastbar reliefartig Abgehobenem, voluminöser Tiefe, weich und hart Kontrastierendem. Überall gibt es farbige Bewegtheit, die jedoch in den statischen Symmetrien wie eingefangen und zum Stillstand gebracht erscheint, befriedet, aber nicht ornamental ertötet, sondern zum lebendigen Organismus vereint, in dem die Glieder wie selbstverständlich zusammenwirken.
Im Nebenbild wirkt alles leichter und kühler, BB109 ist von Rot-Blau, BB110 von Gelb-Grün-Blau-Rot bestimmt. Das verändert ein wenig den Ausdruck, aber nicht die Art des Aufbaus, bereichert ihn vielmehr mit je eigenen Schwingungen, die die Form fühlbar werden lassen, wie dann auch die etwas größeren, hochformatigen Bilder BB111 und 112.
Abwandelnde Wiederholung

Wie in allen bisher betrachteten Bildern, so ist auch in den folgenden der Bilder BB113-126 das Prinzip abwandelnder Wiederholung wirksam. Vielleicht kann es überhaupt als charakteristisch für das farbkünstlerische Schaffen angesehen werden, haben wir es doch immer mit dem gleichen Schatz an Farben zu tun, der in unserem Sehvermögen als Potenz schlummert und nur immer wieder auf neue Weise aktualisiert wird.
Schon in der Gestaltung der dimensionalen Bewegungen in neutraler Farbigkeit arbeiteten wir mit nur 13 Stufen, deren bloße Anordnung und unterschiedliche Komposition zu immer wieder neuen Erscheinungen führten.
Bis ins Detail können wir das Prinzip in den unteren Schemen von B9 verfolgen. Zwar kommen in ihnen ausschließlich die 13 Graustufen von oben links vor. Aber sie wurden in 7 Gruppen von Stufenfolgen zusammengeschlossen, die wiederum eine Reihe bilden, in der sich die je folgende von der vorigen in 2 Farben unterscheidet, einer weggelassenen und einer neuen. Die Teilreihen der Gesamtstufung rücken in letzterer immer eine Stufe weiter, so dass sie insgesamt bei wiederholter 7-Stufigkeit doch leicht in ihrer Farbigkeit abgewandelt werden.
Zu dieser farbigen Abwandlung kam noch die formale: die 7 Stufen wurden nicht in gleicher, sondern abgewandelter Breite an einander gereiht, und auch die Reihe der 7-stufigen Gruppen wurde mit unterschiedlichen Breiten gekoppelt. So wiederholen sich in der Farbform gleiche Strukturen farbig und formal stetig abgewandelt und bilden zusammen eine Bewegung, in der es trotz rhythmischer Wiederholung auch eine Fortentwicklung gibt, deren Anfang und Ende in der Mitte der Bewegung auf einander treffen in einem Umschlag der Qualitäten – Wiederholungen werden durch Abwandlung zu Singularitäten. Eine evolutive Veränderung führt vom kompakt abgehobenen Diagonalstreifen über Verfeinerungen in breiteren Streifen zur immateriell im Hintergrund leuchtenden oder sich in ihm in energetischer Farbigkeit zusammenziehenden Linie.
Wir können das auch in den farbigen Bildern mit den zu Ornamenten gefügten dreidimensional strukturierten Fassungen des Schemas sehen (z.B.in BB11,112),
das der darauf folgenden Bildreihe zugrunde liegt. In abgewandelter Weise wiederholt sich das Entwicklungsmotiv in der waagerechten Bewegtheit von BB111,112 zur farbigen Mutation im Übergang zwischen hellgrün und rotfarbig verdichteten Linien und dem Zurücktreten beider Farben in die gegensätzlichen Hintergründe.
Im dritten Bewegungsschema wird die Entwicklung zwischen den Farben in flächiger Begegnung vollzogen: dunkel-gelbliche Farben liegen weich begrenzt neben bläulich-lichten und wiederholen sich ineinander übergehend in Kontrastverschmelzung. Raum wird nicht mehr durch unterschiedliche Schichten in ihm erfahren, sondern wiederholt sich in Volumentiefe abgewandelt.

Betrachten wir nun BB113,114, so erkennen wir nur mit etwas Mühe die eben analysierten Bewegungsschemata in den beiden Diagonalen und der Senkrechten. Die Einheit durchgängiger Strukturen ist zerrissen. Farbige Abwandlungen, wie wir sie in den Wiederholungen der dreidimensionalen Gliederung der Bilder BB107-112 kennen lernten, sind wie in den Bildern BB1-BB12 in einander geschoben, nun aber in Fassungen, die in Helligkeit und Farbe so stark von einander abweichen, dass zum Einen das rhythmische schmaler Werden der dunklen Streifen nach rechts und das Verbreitern der hellen nach links, ihr beidseitiges Übergehen von Untergründigkeit in vordergründig abgesetzte Form sichtbar wird, zum Anderen aber auch die dreidimensionalen Farbbewegungen aufgespalten werden in sich abwandelnd wiederholende Streifenrhythmen, in denen sie fast untergehen, nun aber auch in gestufter Farbigkeit erscheinen, in der etwas von ihrer Bewegtheit sichtbar wird, das in den Einzelfassungen unterging.
Ein chaotisches Moment von Überkomplexität macht die formalen Strukturen unübersichtlich – das Ganze wirkt aufgelockert in viele Details, zwischen denen aber eine lebendige, reich facettierte Wechselwirkung besteht und die doch einem gemeinschaftlichen Kanon angehören. Der Betrachtungsakt springt in dauerndem Wechsel zwischen Einzelheiten, die verglichen und Strukturen, die, bei allen Unterbrechungen, verbunden werden. Es bildet sich ein sehr nuanciertes räumliches Geflecht, das eine farbige Mitte umspielt, blaugrün im linken Bild, rötlich im rechten. Die vielen verschieden proportionierten Rhythmen wandeln sich stetig in ihren Wiederholungen ab, mit ihnen die Farbwirkung, die jeweils von eigentlich nur 4 Grundtönen ausgeht, so dass die Vielfalt wiederum im Einfachen zur Ruhe kommt.
In den folgenden Bildern nähern sich die Grundfarben in der Helligkeit stärker an einander an. Der Grundton von BB115 wird von kräftigem Grün, in 116 von Gelb-Rot bestimmt. In BB117 überwiegt dunkel intensives Blauviolett, das von kalten und warmen Rottönen und kräftigen und dunklen Grünabstufungen verlebendigt wird. Auch im rechten Bild werden Zart-Hellblau und Dunkelgelb von unterschiedlich hellen Rot-, Grün- und Violettönen in munterer Buntheit begleitet, so dass sich im Kontrast von linkem und rechten Bild volltönende Gegensätzlichkeit von Nachtblau und Gelb ergibt, die gewissermaßen von allen übrigen Farben gefeiert wird.
Im nächsten Bildpaar BB119,120 wird die Gliederung in der Waagerechten durch etwa gleich helle Grün- und Rot-Töne bestimmt, die sich teils zart, teils kraftvoll gegeneinander abheben, aber immer so, dass die Struktur der dreidimensionalen Bewegungsschemata wieder mehr das Bild beherrscht als die zersetzende waagerechte Bewegtheit, die sie nur abwandelnd bereichert. Ein satter Klang von prangender Harmonie entsteht, in dem wieder Violettblau und Gelb eine wichtige Rolle spielen, diesmal beide in sehr verschiedenen Helligkeiten und farbformalen Funktionen.
Exakten links/rechts vertauschten komplementärfarbigen Abwandlungen dieses Bildpaares begegnen wir in den Bildern BB121 und 122. Sie wirken wie Variationen über das Thema Schwere und Leichtigkeit, das in allen vier Bewegungsrichtungen unterschiedlich behandelt wird, in Aufbau, Verschmelzung, Auflösung und Transformation ins Materiell-Immaterielle.
Stärker in Konkurrenz mit den dreidimensionalen farbigen Bewegtheiten tritt die waagerechte Gliederung in Rot-Grün beim nächsten Bildpaar BB123, 124. In ihm werden die blauvioletten waagerechten Linien, die mit den unteren Hintergründen korrespondieren, links sehr wichtig, rechts die zarten Lichtlinien, die den hellen Zonen unten entsprechen.
Beides grundiert die rot-grünen Beziehungen im Hintergrund mit einem unterschiedlichen Generalbass. Die hellen und dunklen Strukturen, die sich nach links steigend darüber lagern, wirken wie Bänder aus unterschiedlichem Material, farbig durchleuchteter, weißlicher Plastik und angelaufen metallisch-violetter Dunkelheit, verwandelt in Licht- und Farblinie, die sich daneben ins Hintergründige bergen.
Wie im nächsten Bildpaar sind die nach rechts steigenden Formationen einander farbig ähnlich, in BB125,126 aber in umgekehrter Helligkeit. Wieder ist dieses Bildpaar, links/rechts vertauscht, in totaler Komplementärfarbigkeit zum vorigen gestaltet. Anstelle überwiegend transluzenter Räumlichkeit ist farbige Dichte bildbestimmend geworden, in der nur die feinen blauen Schleier einen Hauch von Leichtigkeit weben. Die rot-grün-gelb-violetten Farben bilden ein zwischen Helligkeit und Dunkelheit ausgewogenes, intensives Ensemble, in dem das Grundschema aller Bilder dieser Reihe klar zutage tritt.


Erkennen

Über „Bildbegriffe“ oder „Die Sprache der Farben“ mag viel Kluges gedacht und geschrieben worden sein. Aber das Eigentliche des Bildes redet nicht. Farben begegnen uns in stiller Unzudringlichkeit.
Insbesondere gilt die Schweigsamkeit für das Konkrete Bild.
Welch eine Beredsamkeit hatten die alten Bilder! Cézanne war tief bewegt davon, wie Veronese in „Die Hochzeit von Kanaan“ „noch aus dem Vollen schöpfte“. Das Bild des Venezianers wurde ihm zum Gleichnis für das, was er selber sich zur Aufgabe gestellt hatte: die Fülle des Seins im Bild zu „realisieren“.
So unabdingbar für ihn das gegenständliche Motiv noch war, so setzte er doch mit seiner systematischen Durchdringung der Farbenwelt eine Entwicklung in Gang, die sich schließlich vom Gegenstand abkoppelte, nicht aus Missachtung gegenüber dem herrlichen Reichtum der Alten, sondern angesichts eines Reichtums, den es erst noch zu erschließen galt. Seine Quelle wurde in dem erkannt, was die reine Farbe noch vor aller Darstellung von Gegenständlichem in sich an Inhalten umfasst.
Wenn Kandinsky von „Klängen“ sprach, die sich in Farbformen selbst manifestierten, so hatte er sicher nicht ein synästhetisches Hören von Farben im Sinne, das ihm als besondere Fähigkeit zugeschrieben wird, sondern Qualitäten des Ausdrucks, die das Empfinden charakterisieren sollten, das die Farben im Betrachter auslösen. Vielleicht liegt der Grund für die Annahme einer außergewöhnlichen Veranlagung Kandinskys gerade in der Stummheit des Sichtbaren, so dass man sein Faseln über ein „Hören“ von Farbe sich nicht anders als mit Abnormität erklären konnte. Aber auch für ganz Normale gilt, dass sie sich durchs Visuelle innerlich berührt fühlen, dass es Gefühle in ihnen erweckt von Harmonie, Schönheit, Hässlichkeit, Spannung, Lebendigkeit, Freude. In diesem Buche ist ja schon viel darüber geschrieben worden. Und so wäre auch über die Abwandlungen in den Bildern BB127-174 noch allerhand zu sagen. Und doch würde das nicht das Anschauen ersetzen oder wirklich das sagen, was die Bilder uns vermitteln. Wenn man aussagen könnte, was von ihnen ausgeht, bedürfte es ihrer eigentlich gar nicht mehr.
Das Sagbare beschäftigt sich mit dem, wie wir Farben und Formen erkennen, was für Empfindungen, Assoziationen, Gefühle sie erregen, was sie „darstellen“, auch ohne Gegenständliches zu bedeuten. Die besondere Innigkeit der visuellen Erfahrung besteht aber wohl darin, dass sie die Natur unseres Farbensehens spiegelt, ihr Potential zugänglich macht, wie es die schönsten Blumen, Lebewesen, Wolken, das großartigste Abendrot und auch der „gestirnte Himmel“ nicht vermögen. Sie vermitteln andere Wunder der Schöpfung, nicht das Mysterium unseres Sehens.

Dass es Künstler gibt, die sich berufsmäßig um Erschließung dieses Potentials kümmern und immer wieder Zugänge zu ihm finden, die uns in Erstaunen versetzen, zeigt uns, dass wir mit unserem Sehen nicht allein sind. So oft sind wir verschiedener Ansicht. Die Meinungen über Gott und die Welt können so weit auseinander gehen, dass der Einzelne sehr einsam wird, ganz abgesehen davon, dass der Meinungsstreit zu ständigen Kriegen führt, die kein Ende zu nehmen scheinen. Darüber kann man den Glauben verlieren an das, was uns zu verbinden vermag. Ich habe diese Nöte am eigenen Leibe durchgemacht und sage mit Bedacht „am eigenen Leibe“, denn die Einsamkeit, die damit verknüpft war, wirkte vernichtend auf die ganze Existenz mit Leib, Seele und Geist. Ohne das Erlebnis der Gemeinschaft, die Bilder stiften können, hätte ich nicht überlebt.
Vielleicht gibt es wenige Menschen, die das so erlebt haben wie ich, aber dass Bilder etwas Leben Stiftendes vermitteln, das auf keine andere Weise erfahren werden kann, haben wohl viele Menschen erlebt und erleben es auch heute – man braucht ja nur in eine Gemäldesammlung zu gehen um zu sehen, wie die Augen der Betrachter sich in Erstaunen weiten, um ein wenig zu erkennen, wie nahe wir uns durch Bilder kommen können, indem wir unsere Augen aufmachen.
Worte können lügen, Musik kann nerven, das Verbindende in Bildern erkennen aber kann Mauern zwischen Menschen zum Einsturz bringen, den Glauben an das Verbindende stärken.



Konträre Einbindung von Farben

Haben wir in den eindimensional bewegten Stufungen der Bildseiten B10-14 bereits die reduktionistische, nur auf Einzelkontraste beschränkte Auffassung der Farbe als unzulänglich erkannt und ihre mehrdimensionale Einbindung wie auch Kontrastierung in vielen Abwandlungen kennen gelernt, in der die Farben in viel größerem Reichtum erschienen, wenden wir uns nun mit den Bildern BB175-238 konträren Möglichkeiten solcher Einbindung zu, durch die, in vier Richtungen der Fläche bewegte Strukturen zusammengefasst werden und das Erscheinungspotential der Farben noch einmal erweitert und intensiviert wird. Was damit gemeint ist, bedarf anschaulicher Erklärung.
Bisher hatten wir es ausschließlich mit Bildern zu tun, die anhand des Doppelwürfelsystems gestaltet waren, nun kommen zwei Systematiken ins Spiel, in denen andere Bezüge zwischen den Farbstufungen gestaltet wurden. Die Kontrastvielfalt hängt ja offenbar mit der Vielfältigkeit der Ausgestaltung von Farbrelationen in vielen verschiedenen Richtungen des Farbraumes zusammen. Sie war schon mit den Würfelordnungen ziemlich groß, wie wir gesehen haben. Womit wir uns jetzt befassen, wirkt auf den ersten Blick wieder wie eine Reduktion, diesmal auf Bewegungsmöglichkeiten in farbigen Flächen, die statt zweidimensional, dreidimensional begangen werden.
Das klingt wie ein Widerspruch: Ist eine Fläche nicht auf  Zweidimensionalität limitiert?
Was von einander unabhängige Orte in ihr betrifft, so kommt man allerdings mit ihrer zweidimensionalen Beschreibung vollkommen aus. Die chromatische Fläche aber besteht nicht nur aus verschiedenen Orten, sondern auch spezifischen Farben an diesen Orten, die untereinander nicht nur in zwei, sondern in allen Richtungen zusammenhängen, die durchaus nicht unabhängig von einander erscheinen.
So kann man Stufungen in ihr nicht nur in senkrecht-waagerechter Richtung einführen, wie wir sie an den Würfeln vornahmen, sondern auch in Richtungen, die in 60°-Winkeln zu einander ausgerichtet sind, wie wir es in den 3 Wabenstufungen auf Bildseite 25 sehen. In ihnen werden jeweils Eckfarben der beiden Würfel verbunden, die auf einer senkrechten Schnittebene durch die Neutralachse liegen.
Wenn man ein Rautendrittel dieser Waben zwischen einer Ecke und dem mittleren Grau als Basisstufung eines Würfels nimmt und von Ecke zur Gegenecke in der Wabe stufenweise weitergehend ähnliche Rautenstufungen in der dritten Dimension des Würfels darauf schichtet, so kommt man zu einem räumlichen Würfelgitter von 7x7x7 Stufen. In den senkrechten Reihen neben den Wabenskalen sind je 3 solcher Würfelpaletten enthalten, die zwar die gleichen Farben gebrauchen, aber in anderer gegenseitiger Zuordnung, was sich auch in ihrer Erscheinung zeigt.
Man kann mit ihnen wie mit den Doppelwürfelfarben 3-dimensional bewegte Strukturen gestalten, wie wir in B26-28 sehen, die dann noch einmal anhand der anderen Wabenpaletten abgewandelt werden können. So lassen sich Bewegtheiten in vier Richtungen der Fläche, wie wir sie kennen gelernt haben, auch mit dieser Systematik strukturieren.
Aber nicht nur in senkrechten Schnitten lässt sich der Doppelwürfelraum neu organisieren, sondern auch in waagerechten. Das zeigen die Bilder B29-32.
Zusammen mit den Doppelwürfelräumen ergeben sich aus diesen systemischen Grundlagen sehr variable räumliche Einbindungen von Farben.
Alle Bilder von BB175-238 sind mit den gleichen 4 Bewegungsschemen gestaltet, die in je 7 Stufen differenziert sind. Mit ihrer senkrecht/waagerechten Aufteilung bilden ihre Bewegtheiten eine rhythmische Gliederung des Bildes in 6 Richtungen, die beim Betrachten abwechselnd dominieren. Besonders faszinierend finde ich das Verfolgen ähnlicher Farben, deren Wirkung jeweils aufgrund unterschiedlicher Relationen zu den Farben, in die sie eingebettet sind, stark differiert.
Auch die Bilder BB245-248 gehören in diesen Zusammenhang, wobei jeweils das rechte in Farben der Doppelwürfel gehalten ist, das linke mit verschiedenen Systemen arbeitet. Das zusammenhaltende Prinzip ist nun, statt der
durchgehenden rhythmischen Strukturen, deren Spiegelung in Abwandlungen.


Dimensionale Synthese

Anstelle von dimensionaler Differenzierung tritt in den Bildern BB239-244 ihre Synthese zu höherer Einheit. So wie der Dreifarbendruck mit einfarbigen Auszügen arbeitete, die eigentlich gar nicht einfarbig waren, da als Kontrast-Partner immer das Papierweiß mit im Spiel war, so können auch die drei dimensionalen farbigen Bewegtheiten (die sich je in einer Kontrastspannung manifestieren) in einer Richtung des Bildes zusammenfließen, so dass sie nur noch verborgen dessen Struktur bestimmen.
Wie sie das aber tatsächlich tun, kann man an diesen Bildern gut ablesen. In BB239-242 ist die Gesamtfläche jeweils in vier gleich große Quadrate geteilt, von denen in dreien je eine andere der drei Bewegtheiten in einer Dimension senkrecht gegen Bewegtheiten antritt, in denen die beiden anderen Dimensionen sich vereinen. Wie sie untereinander und mit ihrer Synthese im letzten Viertel zusammenhängen wird in den Abwinkelungen deutlich, in denen latente farbige Gestalt sich dimensional aufgliedert, bzw. dimensionale Aufsplitterung aufgehoben wird.
In unserem Fall sind die Farbbewegungen in den drei Dimensionen gleich strukturiert, setzen aber in kanonischer Weise nach einander ein, so dass sie im Zusammenklingen eine rhythmische und melodische Aufeinanderfolge bilden, in der sich die Interferenzen der dimensionalen Bewegungen periodisch zu einer geordneten Gesamtgestalt gruppieren.
Auseinandergehen und Zusammenführen kommen vielleicht in den beiden Bildern BB243 und 244, die sich zu in sich verschlungenen Ornamenten farbräumlicher Vielfalt zusammenfügen, noch eindrucksvoller zur Geltung, zumal hier die Vereinigung der disparaten Dimensionen in der Mitte des Bildes geschieht und sich das jeweilige Ganze, im Rapport nach allen Seiten und nach oben hin, zu unendlicher Struktur fortsetzen ließe, auch hierin dem musikalischen Kanon vergleichbar.
Immer wieder sind uns Ähnlichkeiten farbigen Gestaltens mit musikalischen Praktiken begegnet. Als die reine Malerei sich vom Gegenstand zu emanzipieren begann, erhob sich gleich auch die Forderung nach so etwas wie der Harmonielehre in der Musik, einem „Generalbass der Farbe“. Ich denke – und das bemerke ich mit einem gewissen Stolz -, dass die vorliegende Arbeit auf dem Wege zu ihm ein gutes Stück weiterführt, indem sie die Abhängigkeit der farbigen Erscheinung von den dimensionalen Bewegungs-Richtungen, in die sie eingebunden ist, anschaulich machte.


Flächengestalt


Die beiden Bücher „Motiv im Farbwandel“ und „Schmetterlingstanz“ gingen von einem einzigen farbformalen Flächenschema aus, das mit sich selber in verschiedenen Symmetrien komplexe Beziehungen einging. Im vorliegenden Buch findet es erneut Verwendung, geht aber mit drei anderen farbformalen Flächenschemen komplexe Verbindungen ein (Fig. 8-11)
Im Prinzip scheint es ja ganz willkürlich, wo auf der Bildfläche welche der 7 möglichen Stufen der Skala einer Farbgeraden (vertretungsweise der 7 Graustufen) aufgebracht werden. Darin besteht die „Offenheit“ des farbformalen Schemas. In die konkrete Entscheidung für eine bestimmte Flächengestalt fließt aber natürlich ein Empfinden für Komposition ein – Bewegung/Gegenbewegung, Auswiegung von Gewichten, Verteilung der Kontraste im Sinne der Sichtbarmachung von Vielfalt und Einheit – es sind die geläufigen, eingeübten Urteilsfindungen, die erspürt werden müssen. Zudem sollten bei Überlagerung gespiegelter oder gedrehter Versionen in den erwähnten Büchern keine Monstrositäten entstehen. Da war vielleicht manches grenzwertig, könnte gewiss klüger, raffinierter gemacht werden als ich dies mit meinem Schema zustandebrachte. Neuland muss erst erkundet werden!
Die neue Herausforderung durch Überlagerung unterschiedlicher Flächengestalten bestand darin, von vornherein das „Zusammenklingen in Mehrstimmigkeit“ zu beachten. Auch hier gibt es unvertraute Umstände, etwa der Verknüpfung bestimmter Pläne mit den Farbdimensionen, in denen ich nur wie im Dunkeln umhertappen konnte und einfach Möglichkeiten ausprobierte.
Die Überlagerung unterschiedlicher Flächengestalten in 4 Farbdimensionen bedingte in der Gesamtgestalt eine sehr differenzierte Seitigkeit der kompositorischen Einheiten in den Bildvierteln. In der Zusammenordnung von jeweils vier farbig auf einander bezogenen Varianten einer solchen Einheit stand es frei, welche Ecken welcher Gestalt in der Mitte zusammenkommen sollten, in welcher Weise sich Spiegelungen, Drehungen, Verschiebungen im Farbraum gestaltlich in den Flächenschemen einander zuordneten. Die Möglichkeiten schienen fast unbegrenzt, so dass wieder ausgewählt werden durfte, eine abenteuerliche Reise voller unerwarteter Erlebnisse führte zu immer wieder neuen Kompositionen und Farbwirkungen und das aufgrund so einfacher Voraussetzungen.
Das Erstaunlichste dabei ist aber, dass bei all der Vielfalt nicht alles im Ungestalten verfließt, sondern die Variation der Flächengestalt je zu eigenen Farben, die farbige Differenzierung zu neuen Formen führt, in denen Wirrnis Gestalt annimmt, die mehr ist als bloße Farbform, ähnlich Musik, die mehr ist als bloßes Lautwerden.